Die Tänzer von Arun
Stiege hinüberzuschauen, blickte aber dennoch hin. Es war Terézia. »Einen guten Morgen«, sagte sie. »Tut mir leid, daß ich gestern abend so kurz angebunden war. Ich glaube, ich kenne euch alle vom letzten Jahr, oder ...« Sie blickte zu Kerris herüber. »Nein, dich kenne ich noch nicht.«
»Ich bin Kerris, Kels Bruder.«
»Wir haben noch einen, den du nicht kennst«, sagte Ilene.
»Ja. Ich hab's gehört – die Asech haben ihn gefangen. Es tut mir leid.«
Jensie sagte leise: »Sein Name ist Riniard.« Sie starrte auf ihre Hände.
Ilene fragte: »Gehst du fort, Terézia?«
»Ich gehe zu Cleos Haus zum Frühstück, und um nachzusehen, ob es ihr gutgeht. Sie ist gestern nacht beinahe zusammengeklappt. Erith hat ihre Wache übernommen, dem chea sei Dank! Wir haben oben am Hang nicht viel Schlaf bekommen.«
Ilene fragte Jensie: »Hast du ein bißchen Hunger, Jen?«
Jensie schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht wirkte eingefallen.
Ilene sagte: »Ich würde gern mitkommen. Ich sollte eigentlich zu meiner Schwester zurückgehen.« Besorgt schaute sie Jensie an. Ihre Hand streckte sich aus und berührte das Haar der jüngeren Frau.
Jensie sagte: »Geh nur! Ich bin ganz in Ordnung.« Die Stimme klang dumpf vor Schmerz.
»Sobald sie etwas von ihm hören, werden wir es erfahren«, sagte Ilene.
»Ja.« Einen Augenblick lang brannten Jensies Augen in dem bleichen Gesicht und waren schrecklich anzusehen. Sie griff nach dem Messer, das in seiner Scheide rechts neben ihrem Bett lag, wie wenn sie sich vergewissern wollte, daß es noch da sei.
Kerris stand auf, um sich die Hosen anzuziehen. Er belastete seine wunde Ferse: der Fuß war noch schmerzempfindlich, doch schien er eindeutig zu heilen. Er beschloß, ohne Stiefel zu gehen, bis er solche Schuhe wie die Ardiths finden konnte, niedrige mit flachen Sohlen. Er griff nach seinem Gurt. Arillard schüttelte Cal aus dem Schlaf. Ilene legte die Bettrolle zusammen, in der sie geschlafen hatte: es war Riniards Bettrolle. Jensie band sich den Schal fester um das Haar. Kerris rechte sich mit den Fingern über den Kopf, Gras fiel aus seinem Haar auf den Boden. Das beschwor die Erinnerung herauf – seine Haut überzog sich rot, die Innenfläche seiner Hand wurde feucht, er sagte sich, daß er sich wie ein Kind benehme, das noch nie zuvor geliebt hatte, und er vermochte nichts dagegen zu tun, die Reaktion stand in keinem Zusammenhang mit seinen Gedanken.
Schritte warnten ihn. Er hockte sich hastig wieder nieder und begann seine Decke zusammenzurollen. Kel und Sefer kamen herein. Gegen seinen Willen blickte Kerris auf. Kel stand da und lächelte ihn direkt an – ein Lächeln, so voller Zärtlichkeit und Eindeutigkeit, daß Kerris es nur erwidern konnte. Es erschien ihm als schandbar, als grausam, daß er mitten in solch allgemeiner schmerzlicher Ungewißheit so glücklich sein konnte, doch er vermochte nichts dagegen zu tun.
Kel war für den Waffenhof gekleidet, das Haar aufgesteckt. Der rote Schal des cheari war in das Haar geflochten. Sefer trug die gleiche Kleidung wie am Tag zuvor, eine braune Tunika, braune Hosen mit blauen Borten aus Seide. Er sah ruhig und erholt aus. Kel trat zu Jensie und kniete bei ihr nieder. Leise sagte er: »Die Sonne scheint, Jen. Schau!«
Jensie hob den Kopf. Ihre Lippen wurden schmal vor Wut. »Kann Riniard sie sehen?« fragte sie tonlos.
Kel legte ihr etwas quer über den Schoß. »Nimm!« Es war ein roter Schal. »Die Wachtrupps haben es gestern abend zu Sefer gebracht. Es muß ihm gelungen sein, das Tuch fallen zu lassen, bevor sie ihn oder als sie ihn gefangengenommen haben, und er hat gehofft, daß jemand es findet und uns bringt. Und das bedeutet, daß er geatmet hat und denken konnte. Heb es für ihn auf.«
Jensie berührte das Tuch mit der äußersten Spitze ihrer Finger. Dann verkrallten sich ihre Hände über dem Schal zu Fäusten. Sie hob das Tuch aus ihrem Schoß und flocht es sich ins Haar.
Ilene stand neben der Tür bei Terézia. Sie sagte: »Kel, gehen wir heute in den Hof?«
»Wir gehen.«
»Und wenn die Asech kommen?«
Sefer antwortete: »Ihr werdet es hören. Der Soldat mit der Inneren Sprache in Eriths Trupp wird uns warnen, wenn sie sich nähern.« Er blickte zu Kerris. »Während der chearas im Waffenhof arbeitet möchtest du nicht mit mir in den Tanjo kommen, Kerris? Es ist Zeit, daß du lernst, unsere Gabe einzusetzen.« Die Stimme klang ohne Angespanntheit, und auf seinem Gesicht zeigte sich keine
Weitere Kostenlose Bücher