Die Tänzer von Arun
auf eine Matte. »Ich bin bereit«, sagte er.
Sefer ließ sich ihm gegenüber mit gekreuzten Beinen, im Schneidersitz, nieder. »Erzähle mir, was du über deine Gabe weißt«, sagte er.
»Ich weiß, wie ich sie bezeichnen muß«, sagte Kerris. »Sie nennen es ›Innere Sprache‹, und die Leute, die das tun können, heißen ›Innere Sprecher‹ oder ›Gedankensprecher‹.«
Sefer lächelte. »Man hört, daß du bei einem Gelehrten zur Lehre gegangen bist. Keren redet genauso – genau erklärend. Aber was kannst du mit deiner Gabe tun?«
»Ich kann ...« Kerris brach ab. »Ich kann die Gedanken anderer Menschen berühren, mit meinem Verstand, so daß ich weiß, was sie denken und fühlen.«
»Beschreibe mir das!« sagte Sefer.
Kerris kam sich töricht vor, daß er Sefer die Innere Sprache beschreiben sollte, Sefer, der dies ja nur allzu genau kennen mußte. »Wenn es sehr stark kommt«, sagte er störrisch, »dann fühle ich mich so, als hätte ich einen Körper gemeinsam mit der anderen Person. Wenn es nicht so stark ist, höre ich nur die Gedanken, wie wenn ich jemandem zuhörte.«
»Wann hat es begonnen?« fragte Sefer.
Kerris spürte, wie er erneut rot wurde. »Als ich dreizehn war. Ich hab' geschlafen, und da habe ich Kels Denken berührt. Das weckte mich auf.«
»Hast du Angst gehabt?«
»Ja. Ich hab' geglaubt, ich bin verrückt. Und es passierte immer wieder. Ich wußte, daß ich selbst das tat, aber ich hatte keine Kontrolle darüber, ich konnte es weder absichtlich geschehen machen, noch es beenden, wenn ich wollte. Aber dann habe ich schließlich begriffen, daß es mir nichts antun würde.«
»Hast du sofort gewußt, wer die andere Person war?« fragte Sefer.
»Im Anfang nicht. Aber dann bald.«
Sefer faltete die Hände im Schoß. »Du bist nicht der erste Mensch mit Innerer Sprache, der sich seiner Gabe auf diese Weise plötzlich bewußt wurde. Es handelt sich um ein Glied zwischen Blutsverwandten, und es tritt oft zwischen Blutsgeschwistern auf, wenn der eine die Innere Sprache besitzt, und der andere eine andere Gabe hat.«
»Es war so bei meinem Onkel und auch meiner Mutter«, sagte Kerris.
»Und es ist zwischen Keren und mir so geschehen«, sagte Sefer. Er fuhr sich mit der Hand über die Wange. »An deine Mutter kannst du dich nicht erinnern, oder doch?« Kerris schüttelte den Kopf. »Auch an nichts aus deinem Leben, bevor du nach Tornor gebracht wurdest? Nein? Ich frage mich, warum. Aber mach dir keine Gedanken, fahre fort! War Kel der einzige Mensch, mit dessen Denken du dich in Verbindung setzen konntest?«
»Ja – bis er mir zeigte, daß ich mich auch mit anderen verknüpfen konnte. Er hat mir gezeigt, wie ich es beherrschen kann. Aber das war erst vor ein paar Tagen.«
»Und kannst du es kontrollieren?« fragte Sefer.
Kerris erinnerte sich, wie er im Haus gesessen hatte, nach dem Einfall der Asech, und wie er die Gefühle der Chearis gefühlt, ihre Gedanken gedacht hatte. Die Erinnerung war lebhaft und unerfreulich. »Nicht so ganz«, antwortete er.
»Es wird kommen«, versicherte ihm Sefer. Er erhob sich, durchquerte das Gemach und kehrte zu seinem Kissen zurück. »Laß mich dir sagen, was wir über diese Begabungen wissen. Also – wir wissen nicht genau, was sie sind oder warum manche Menschen sie besitzen und andere nicht. Es gibt unserer Erkenntnis nach fünf unterschiedliche zauberische Gaben – manche sagen auch, sieben.« Er hob die Hand und zählte die Fähigkeiten an den Fingern ab. »Gedankenreden. Musterbilden. Zukunftsehen. Manche Leute behaupten, die letzten beiden seien zwei verschiedenartige Gaben. Dann Fernwandern. Das scheint weitverbreitet zu sein – viele tun es in ihren Träumen. Wettermachen. Mit den Gedanken Bewegen. Wettermachen ist eine Art Gedankenbewegung. Heilen. Heilen ist sehr selten. Wir haben derzeit in Elath nur drei Heiler.«
Kerris hätte gern gewußt, wer sie sein mochten. Er kam auf eine Frage, wie Josen sie sicher gestellt haben würde. »Seit wann wissen die Menschen von diesen Gaben?«
»Das hängt davon ab, was du unter ›wissen‹ verstehst«, sagte Sefer. »Ich habe Keren gebeten, die Aufzeichnungen des Schwarzen Clans in den Archiven zu durchforschen – nach Berichten und Geschichten über Hexer und Hexengaben.«
»Und hat sie was gefunden?«
»Einiges. Ich glaube, daß es in Arun schon immer Hexer gegeben hat. Aber bis in unsere Tage waren sich die Hexen selber dessen nicht sicher, was sie tun können, also haben sie
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