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Die Tänzer von Arun

Titel: Die Tänzer von Arun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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Narben fühlen. Einer, der die Innere Sprache hatte, der brauchte keine zwei gesunden Arme, nur ein Gehirn. Wie würde das sein, über eine Fähigkeit zu verfügen, bei der seine Deformiertheit kein Hindernis bildete? Nicht im geringsten abträglich war? Als Schreiber würde er stets jemand anderen brauchen, der bei ihm war und die Tinten mischte, die Kiele beschnitt ... Er sagte: »Was muß ich lernen?«
    »Du weißt bereits eine Menge«, sagte Sefer. »Berühre mich, Kerris!«
    Kerris setzte dazu an. Er mußte die Augen schließen. Der Anblick Sefers, der ihm ruhig zuschaute, war eine Ablenkung. Wenn mein Verstand eine Hand wäre ... Er streckte sein Denken zu dem Mann in Braun hinüber und rechnete damit, daß er gebremst werden würde, oder durch eine Warnung abgeschreckt. Statt dessen verspürte er eine fast unmerkliche Wärme, die ihn willkommen hieß und ihn in sich hineinzog. Seine Sehwahrnehmung wurde schwächer, genau wie er es erwartet hatte. Sein Körperbewußtsein schwand. Es war wie ein Fallen, nein, wie das Eintauchen in eine Höhlung, in einen leuchtenden, kühlen Raum ... Wieder spürte er die Begrüßung, klar wie einen Gesang, und Amüsiertheit, Prüfung – er ist stark! – Mitfühlen, Neugier und, alles überlagernd, eine leichtschwebende, selbstsichere und vollkommen sich selbst genügende Beherrschung. Er rührte an Erinnerung. Bilder huschten durch sein Bewußtsein: ein Acker, zur Ernte bereit unter einem gläsernen Himmel, das Gesicht einer Frau, der Geschmack von Fetuch, Kels Lächeln, die Zeile aus einem Lied, zu kurz, um ihr zu folgen. Der Geruch von Rauch im Winter, die Krümmung von Fingern um den schweren Schaft einer Sichel ...
    Er sondierte tiefer. Er berührte die Erinnerung an Qual – Mißachtung in der Kindheit – und tiefer noch – ein Verlust, ein Sterben – er zog sich vor diesem Anschwall von Gram zurück. Er konnte sich selber sehen, seinen Körper, wie er auf den Kissen ausgestreckt lag. Er befahl Sefers Augen, sich zu schließen. Sie taten es. Er befahl ihnen, sich zu öffnen, und auch das taten sie. Er ließ die Finger an Sefers linker Hand spielen.
    Genug, sagte Sefer. Die Verbindung zu deinem eigenen Körper wird brüchig.
    Langsam zog Kerris sich zurück. Der eigene Körper fühlte sich kalt an. Die Nerven waren taub, Augen und Mund brannten trocken. Der Atem ging schwer. Gefühl floß dünn durch ihn hindurch. Er betastete die Bodenmatte, die weiche Wolle der Kissen, den Saum seines Hemdes. Sein Verstand war ganz von Licht erfüllt ...
     
    Sefer reichte ihm in einem Glaspokal etwas zu trinken: Wasser, mit Zitronensaft gemischt. Vorsichtig trank er. Die Zitrone brannte ein wenig auf der Zunge. Im Vergleich mit dem, was er soeben getan hatte, waren seine anderen Versuche mit seiner Gabe belanglos gewesen. Aber er war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt etwas getan hatte. Vielleicht hatte Sefer alles allein getan.
    Er räusperte sich. »Hab' ich das getan?« fragte er.
    Sefer nickte. »Ich habe dich nur eingelassen.«
    »Was war das?«
    »Die Tiefensondierung«, sagte Sefer. »Man unternimmt einen solchen Akt nicht ungestraft. Wenn du dabei unvorsichtig bist, kannst du jemanden verletzen.«
    »Ich hab' dich doch nicht ...«
    »Nein, du hast nicht«, antwortete Sefer. »Eigentlich hast du es ziemlich gut gemacht. Deine Technik ist noch ein bißchen unbeholfen, aber, wie ich schon sagte, du hast mir nicht wehgetan. Wenn du es getan hättest, dann hättest du es selbst auch gespürt. Das ist eine der Eigentümlichkeiten dieser Gabe, und sie verhindert den Mißbrauch. Sie schallt als Echo zurück – und wenn du Schmerzen leidest, kannst du die Innere Sprache nicht einsetzen, außer im Reflex. Das ist auch der Grund dafür, daß du Kopfschmerzen bekommst, wenn du es übermäßig praktizierst. Der Schmerz zerbricht deine Konzentration und zwingt dich zur Entspannung.«
    Kerris sagte: »Mir war immer schwindlig, wenn ich mich mit Kel verbunden habe. Und die Augen taten mir weh.«
    »Das sind die gewöhnlichen Nebenwirkungen«, sagte Sefer. Er klopfte sich auf den Bauch. »Manchen wird schlecht im Magen.«
    Kerris nippte an dem Zitronenwasser. Die Elastizität und Klarheit von Sefers Gehirn erfüllte ihn mit Ehrfurcht. »Ich danke dir, daß du dich mir anvertraut hast«, sagte er.
    Sefer antwortete: »Ich habe keinen Grund, dir nicht zu vertrauen. Du bist kein grausamer oder heftiger Mensch. Und ich brauchte nicht anzunehmen, daß du unvorsichtig sein

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