Die Tänzer von Arun
Wort.
»Das wissen wir nicht«, sagte Sefer.
Sefers Kate war leer, als sie dort eintrafen. Sefer bemerkte: »Sie sind sicher noch im Waffenhof.«
Kerris nickte. Er legte das Paket Schreibpapier neben seine Bettrolle. In den Falten des gelben Tuchs steckte noch etwas anderes als das Schreibpapier: ein Kiel mit scharlachroten Federn, eine Stange rotes Siegelwachs, ein Täfelchen Tinte und ein Pinsel. In seinem Kopf begann sich bereits ein Brief zu formulieren. An Josen aus dem Schwarzen Clan, Registrator zu Tornor Keep, von Kerris ...
»Kerris!«
»Hmm?« Er blickte auf. Sefer saß mitten in einem Flecken Sonnenlicht. Er schaute nachdenklich drein.
»Wie fühlst du dich?« fragte er. »Kopfweh? Müde?«
»Nein.« Kerris befühlte die weichen Pinselhaare. Er hätte gern gewußt, was für Haar das war. Er dachte, vielleicht Dachs.
Kerris, ich bitte dich! Sefers Stimme klang merkwürdig dringend. Kerris dachte daran, daß Sefer sein Lehrer war und daß er ihm mehr als nur gewöhnliche Höflichkeit schuldete. Er legte den Pinsel beiseite.
»Es tut mir leid, aber ich habe geglaubt, wir sind für den Tag fertig mit dem Unterricht.«
»Das sind wir, sofern du müde bist«, antwortete Sefer.
»Ich bin nicht müde.«
»Dann, glaube ich, sollten wir die Zeit nutzen, in der wir hier allein sind«, sagte Sefer. »Drüben im Garten habe ich gespürt, wie du in Koriths Denken eingedrungen bist.«
»Ich habe das nicht absichtlich getan«, entgegnete Kerris.
»Das weiß ich«, sagte Sefer. »Doch du mußt es lernen, und zwar bald, eine Barriere aufzubauen, oder das wird dir immer häufiger passieren, und du wirst es nicht abstellen können.« Schroff warf er ein Bild in Kerris Denken – eine hellflammende Kerze und eine Motte mit grünen filigrangemaserten Flügeln. »Die Gefühle der Menschen um dich herum werden dich einsaugen.« Die Motte kreiste, kreiste und stürzte dann in die züngelnde Flamme.
Kerris zuckte zusammen. Flüchtig dachte er an Meritha. »Das war nicht schön«, sagte er.
»Wer die Innere Sprache besitzt, wird stärker sensitiv, nicht weniger einfühlsam«, sagte Sefer. »Du bist nun mein Schüler, und ich möchte nicht schuld daran sein, wenn dir etwas Übles geschieht.«
Ohne Zusammenhang, aus der Erinnerung auftauchend, hörte Kerris die Worte eines Liedes. Ilene hatte es gesungen. Ich bin ein Fremdling in einem fremden Land, ich bin verstoßen, wohin ich immer geh. Und er verdrängte den Gedanken an Josen und an einen Brief an ihn aus seinem Kopf. »Du glaubst, es kann nicht aufgeschoben werden?« fragte er.
Sefer antwortete: »Die Asech werden morgen kommen. Und ich weiß nicht, was dann geschehen wird, ich weiß nur eines, ich werde zu tun haben.«
»Also gut.« Kerris erinnerte sich an den Schmerz, den er empfunden hatte, als er vordem die Barriere aufzubauen versucht hatte. Er sagte sich beruhigend, daß dies ein Fehlschlag gewesen sei, der sich nicht wieder ereignen würde. »Also, was soll ich tun?«
Sefer streckte die Beine aus. »Ich werde jetzt nach dir greifen«, sagte er, »und du mußt versuchen, die Barriere aufzubauen.«
Kerris holte tief Luft, schloß die Augen und bemühte sich, sich selbst auf Tornor zu sehen, wie er vor dem Steinwall der Inneren Hofmauer stand.
Sein Armstumpf juckte. Er kratzte sich, versuchte weiterhin, sich auf die Schwärze zu konzentrieren, die hinter seinen Augäpfeln stand. Sein Nacken brannte. Die Konzentration stob davon, die Wand löste sich auf, als wäre sie aus Sand gebaut.
Er öffnete die Augen. »Es geht nicht.«
»Versuch es noch einmal!« befahl Sefer.
Wieder schloß Kerris die Augen und mühte sich erneut ab. Schweißflecken zeichneten sich auf seinem Hemd unter den Achseln ab. Sein Kopf begann zu schmerzen. Nichts, was du tust, sollte dir wehtun. So etwa hatte es Sefer gesagt. Kerris beschloß, den Schmerz nicht zur Kenntnis zu nehmen. Die Wand baute sich auf. Sie erschien deutlicher vor ihm als zuvor. Er arbeitete hartnäckig weiter. Die Wand brach mit einem klatschenden Geräusch auseinander und zersplitterte wie die Scherben eines brechenden Glases. Ein stechender Schmerz schoß durch seinen Schädel. Er konnte den Schrei nicht ganz unterdrücken. »Aahhn!«
»Bist du verletzt?« fragte Sefer.
»Nein.«
Laß mich sehen!
Ja, komm herein! sagte er. Ich könnte dich ja sowieso kaum daran hindern, fügte er hinzu. Als der fremde Verstand ihn berührte, zuckte er zusammen. Doch Sefer untersuchte ihn nur kurz und sanft und tat ihm
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