Die Tänzer von Arun
Die Stufen knarrten, und eine Frau kam heruntergeschritten. Lara. »Der Frieden des chea sei mit euch!« sagte sie.
Sefer legte die Handflächen zusammen und verneigte sich. »Und mit dir, lehi!«
»Lehi«, das bedeutete »Heiler«. Sefer hatte gesagt, daß die Heilkunst eine seltene Gabe sei und daß es derzeit nur drei Heilkundige in Elath gebe. Kerris überlegte sich, ob er sich auch verneigen sollte.
Die alte Frau lächelte ihm zu. »Weißt du nun den Weg zum Hof von Ardith, Kerris?«
»Ja, lehi«, sagte er. »Ich danke dir.«
Am Ende des Raumes, neben der Treppe, befand sich eine Nische in der Wand, und in ihr stand eine Statue des Wächters. Kerris wandte ihr die rechte Schulter zu.
»Was führt dich zu mir, Sefer?« fragte die alte Frau.
»Nachricht vom Kamm«, sagte Sefer. »Eine Botschaft von Beria. Die Asech werden morgen kommen.«
Das kleine Kerlchen kam hereingewatschelt. Lara streichelte ihm die dunklen Locken. Das Kind klammerte sich mit den dicken Fäustchen an ihren Rock. »Soso«, sagte sie. »Wer weiß es?«
»Beria – und ich bin sicher, Erith. Tamaris, Kerris und mein Neffe. Sie waren bei mir, als Berénzia zu mir gesprochen hat. Ich habe Korith zu Kel geschickt, damit er es erfährt. Tam wird es Dorin sagen. Sonst weiß keiner etwas.«
Laras Finger betasteten den Kopf des kleinen Jungen. »Gedenkst du es geheimzuhalten?« fragte sie. »Du lebst seit dreißig Jahren in diesem Nest, Sefer. Du wißt doch, daß man in so einer kleinen Gemeinschaft nichts geheimhalten kann!«
»Die Leute sind nervös«, sagte Sefer. »Ich will heut nacht keine wilden Ausflüge in die Felsen haben, keine waghalsigen jungen Strohköpfe, die davonpreschen, um das Lager der Asech auszuspähen.«
»Informiere die bedachtsamen Leute«, sagte Lara. »Sag es Ilene und Moro und Ardith, sag es Hadril und Terézia und Dol. Sag ihnen, sie sollen aufpassen und lauschen und wachsam bleiben. Und dann sag allen ganz genau, was du weißt. Sonst werden wir fünfzig verschiedene Gerüchte herumfliegen haben, und jedes wird weniger wahr sein als das vorhergehende, und nur das chea weiß, was die Leute dann zu glauben geneigt sind.«
Sefer lächelte. »Du hast recht, lehi.«
Der Junge zerrte an Laras Kleid. Glucksend suchte sie in der Tasche ihres Rocks und zog einen Apfelschnitz hervor. »Nimm, chelito!« Der Klang einer Glocke ließ ihr Lächeln verschwinden. »Entschuldigt mich jetzt«, sagte sie, »Meritha ruft mich, ich muß zu ihr.«
Der Name klang ihm vertraut. Reo hatte ihn ausgesprochen. Meritha war die Ratsschreiberin, und Reo hatte gesagt, daß sie sehr alt sei.
Sefer bat: »Laß mich gehen, Lara! Wozu sollst du dich ermüden, indem du die Treppen rauf- und runterläufst?« Wieder ertönte die Glocke, blechern, scheppernd.
Lara sagte traurig: »Nein, Sef. Danke, aber ihre Gedanken wandern. Ein fremdes Gesicht könnte sie erschrecken.« Sie ging zur Treppe, legt eine Hand auf das Geländer und zog sich auf die unterste Stufe hinauf. Die Glocke ertönte ein drittesmal.
Sefer ließ sich auf ein Kissen nieder. Kerris zögerte einen Augenblick lang, dann setzte auch er sich, neben ihn. »Mein Cousin hat mir gesagt, daß Meritha die Ratsschreiberin ist«, bemerkte er.
Sefer strich mit der Zehenspitze über die Bodenmatte. »Das war sie«, sagte er. »Sie ist uralt. Und hohes Alter ist das einzige Übel, gegen das auch ein Heiler machtlos ist.«
»Kerris!« Laras Stimme kam von der obersten Treppenstufe. »Würdest du heraufkommen? Meritha möchte dich kennenlernen.«
Kerris' Rückgrat prickelte. Er hätte fast gefragt: »Warum?« und dachte sofort verschreckt, daß Lara ihn für ungehobelt halten könnte, wenn er fragte.
Und als ob sie seine Gedanken gelesen hätte, sagte sie: »Sie weiß, daß du ein Schreiber bist. Darum!«
Kerris folgte ihr die Treppe hinauf. Die Tritte waren nicht mit Matten belegt. Die Holzbretter waren abgenutzt und glatt. Hinter Lara trat er in Merithas Zimmer. Es war nur eine kleine Kammer, und der Strohsack nahm den meisten Platz darin ein. An einer Seite neigte sich die Decke nach innen. Das Zimmer roch nach Urin und Greisenkörper. Meritha hatte sich im Bett aufgesetzt. Ihr Anblick verwirrte Kerris. Sie war eine gewaltige Frau; das Fleisch hing ihr flappig von den Knochen, doch die Schultern waren breit, die Hände riesig groß. Er war auf ein verhutzeltes altes Weiblein vorbereitet gewesen, etwa von der Gestalt der abu.
»Komm zu mir!« sagte sie. Die Augen waren sehr hell, fast
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