Die Tänzer von Arun
schüttelte den Kopf, als ihr dies übersetzt wurde. Sie redete. »Nein«, sagte Thera, die Augen fest auf das Gesicht der alten Frau gerichtet. »Es sind unsere eigenen Leute!«
Mirian sprach weiter. Theras Stimme nahm den auf- und absteigenden Klang eines rituellen Singsangs an. »Ich war zehn, als mein Vater sich das Bein an drei Stellen brach. Er war auf der Jagd, und er war zwei Längen vom Lager entfernt. Ich spürte seine Schmerzen über die Salzlöcher hinweg. Ich sprach zu meiner Mutter davon, und sie ritt mit einer Bahre und einem Maultier hinaus und schleppte ihn heim. Sie ließen mich schwören, daß ich zu keinem von meinem Wissen sprechen würde, aber ihr wißt ja, wie Kinder sind. Wenn ich etwas schaute, sprach ich zu den anderen Kindern davon. Sie bekamen Angst vor mir. Und schließlich vernahmen die Ältesten davon. Auch sie fürchteten mich und nannten mich yamal, Dämon. Sie beschlossen, daß ich hinaus in die Dünen getrieben werden sollte, um dort zu sterben.«
Sie hielt inne. »Aaaah!« stöhnten die Asechstimmen.
Mirian schwankte vor und zurück, während sie weitersprach. »Meine Eltern – mögen sie in ewigem Frieden ruhen! – versteckten mich in einer Höhle in der Nähe des Lagers. Ein ganzes Jahr hindurch brachten sie mir heimlich Nahrung und Wasser. In einer Nacht wurden sie dabei gesehen. Sie verurteilten sie zum Tode – sie gruben sie bis zum Hals in den Sand ein und ließen sie zurück.« Die uralte Stimme brach. Tamaris füllte Wein in einen Becher und drückte ihn in die verwitterten Hände.
Mirian trank. Dann sprach sie weiter. »Ich habe es gefühlt. Und ich konnte ihnen nicht helfen. Die Leute aus den Dörfern jagten mich, aber ich war vierzehn und kannte Verstecke, von denen die Jäger nichts wußten. Ich aß Schlangen und Ratten und lebte. Ich stahl das Wasser aus den Schläuchen auf den Weiden. Zwei Händler faßten mich. Sie wußten nicht, wer oder was ich war. Sie nahmen mich mit Gewalt, obwohl ich noch ein Kind war, und sie betranken sich und stritten sich, was sie mit mir tun würden, und dabei fielen sie in Schlaf. Ich wälzte mich ans Feuer und brannte meine Fesseln fort.« Sie ließ die weiten Ärmel ihres Gewandes zurückfallen. Die Innenseite der beiden steckendürren Arme waren mit dünnen Narben übersät. »Ich nahm ihre Wasserschläuche und ihre zwei kräftigsten Pferde und ritt nach Osten. In der Mitte des großen Sandes stieß ich auf ein Lager und auf Menschen, die dort hausten. Die meisten von ihnen sind nun schon lange tot. Aber sie erkannten mich – und ich sie. Es waren Hexenleute, wie ich. Mit Schmach bedeckt, verlassen, aus ihrem Stamm ausgestoßen ...« Die alte Frau zog sich die Kapuze ihres Mantels über den Kopf und begann zu wehklagen. Das schrille Heulen bewirkte, daß sich Kerris die Haare im Nacken sträubten und sein Rückgrat prickelte.
Sanft fragte Lara: »Also seid ihr Ausgestoßene?«
Theras Stimme wurde schwer. »Sie brandmarken uns jetzt mit einem glühenden Messer, bevor sie uns in die Wüste treiben, so daß wir uns keiner Karawane anschließen können und uns nicht in das Lager eines anderen Stammes begeben können. Wer kräftig ist, wandert umher, bis er zu uns stößt. Wir leben in einem Teil der Wüste, in den nie jemand kommt, nicht einmal die Jäger. Aber wenn die Jäger kommen ...« – ihre Augen brannten, ihre Hände vollführten eine rasche tödliche Geste –, »dann bringen wir sie um. Wer wie wir ist, den behalten wir.«
Sefer schüttelte den Kopf. »Wir fühlen mit euch«, sagte er, »und wir achten euch für das, was ihr erduldet habt. Aber ihr werdet stärker sein, wenn ihr eure Mauern aufgebt. Ihr werdet dann sehen und hören und heben können. Und keiner, außer euch selbst, wird euch dann jemals berühren oder euch Schmerz zufügen können.«
Thera sagte diese Worte den anderen. Nerims Hände schwangen sich breit in einer Geste nachdrücklicher Zustimmung in die Höhe. Khalad nickte, Jacob schwieg. Er rollte einen Becher in den Handflächen. Mirian mümmelte unter ihrer Kapuze. Nur Barat schien bedrückt zu sein. Er sprudelte hastige Worte hervor, und akzentuierte sie mit stoßartigen Bewegungen seines Fingers gegen Sefer, als benutze er eine Waffe.
Die alte Frau setzte seiner Tirade ein Ende. »Shai!« Sie warf die Kapuze zurück, schob sich nach vorn in die Mitte des zweifachen Halbkreises und streckte Sefer beide Hände hin. Behutsam schlang er seine Finger in ihre knochigen Finger, und sie sprach.
Thera
Weitere Kostenlose Bücher