Die Tänzer von Arun
tobte stechend in seinen Augen. Er wischte sich mit dem Ärmel darüber. Barat forderte polternd von Thera eine Erklärung.
Nie zuvor war er so tief in die Erinnerung hinabgestiegen. Und er wußte nun, es war Erinnerung, nicht Einbildung. Nicht er hatte jenen Ort geschaffen. Sein Mund schmeckte nach Asche. Mutter, dachte er, o meine Mutter ...
Mirians große Augen blickten ihn starr an. Er fragte sich, wieviel von der Reaktion sie mitbekommen hatte. »Warst du dort?« fragte er Sefer mit krächzender Stimme.
»Nur zum Schluß«, sage Sefer. »Kannst du darüber reden?«
Kerris lehnte den Kopf gegen die feste Schulter Kels. »Ich war ein ganz kleines Kind. Ich ritt mit meiner Mutter durch den Regen. Ich spürte Schmerz in meinem Arm.« Er berührte seinen Armstumpf. (Eine Stimme flüsternd: Thera, die den Asech sagte, was er erzählte.) »Meine Seele füllte sich mit Gedanken, nicht meinen eigenen Gedanken, ihren Gedanken ...« Er schloß die Augen. Er mühte sich, in seinem Gehirn das Gesicht seiner toten Mutter wiederzufinden. »Ich versuchte sie zum Einhalten zu bewegen. Es tat weh.« Er begann zu zittern, als er sich an das Ausmaß des Schlages erinnerte, den sein Gehirn erlitten hatte. »Ich hatte Angst.« Er konnte das Gesicht seiner Mutter nicht finden. Er öffnete die Augen.
Sefer nickte. »Ich habe die Furcht gefühlt – und diese Woge von Schmerz, den Schock, die Nachwirkung, als die Barriere zusammenbrach.« Er legte Kerris die Hand auf die zitternden Finger. »Es war echte Erinnerung, Kerris, eine vierzehn Jahre alte Erinnerung an ein alptraumhaftes Erlebnis eines dreijährigen. Als deine Mutter starb, hat sie sich mit dir verkoppelt, nur einen ganz kurzen Augenblick lang. Ich hoffe, du wirst ihr vergeben können. Sie war verletzt und konnte nicht anders. Du hast versucht sie durch eine Mauer auszuschließen, aber du warst dafür nicht stark genug. Die Barriere brach zusammen, und das fügte dir soviel Schaden zu, daß jede Erinnerung an dieses Ereignis und an dein Leben davor abgeblockt wurde. Das Gewitter im Galbareth hat es teilweise wieder in deine Erinnerung zurückgeholt. Und mein Versuch, dich zu lehren, wie man eine Barriere aufbaut, ebenfalls. Und genauso Mirians Erinnerungsqual.«
Kerris fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Darum also konnte ich gestern keinen Wall aufbauen ...«
»Ja«, sagte Sefer.
Lara fragte leise: »Konntest du das Ausmaß der Verletzung erfühlen, Sefer?«
»Es war nicht sehr breit«, antwortete Sefer. »Und es ist weitgehend von selbst geheilt, im Lauf der Zeit.«
»Kerris«, fragte Tamaris, »möchtest du einen Schluck Wein?« Sie drückte ihm einen vollen Becher in die Hand, ohne auf die Antwort zu warten. Seine Hand zitterte so sehr, daß Kel sie festhalten mußte. Der Schmerz steckte noch immer in ihm.
Kel flüsterte ihm ins Ohr: »Chelito, du brauchst nicht hier zu bleiben. Geh zurück zum Haus!«
Thera sagte zu Sefer: »Eines begreife ich nicht. Dieser – euer Freund – wurde verletzt, weil er – keine Schutzmauer hat?«
Sefer schüttelte energisch den Kopf. »Nein. Weil das ... weil jener Teil seines Denkens, mit dem man einen Wall aufbaut, verletzt wurde, als er ein kleines Kind war, hat er später nie gelernt, wie man das richtig tut. Aber er wird es lernen.«
Kerris trank von dem Wein. Er schmeckte schal. Barat blickte ihn mit verachtungsvollen Augen an. Aber er würde sich nicht ins Bettchen verkriechen wie ein Kind. »Nein. Ich bleibe hier!« Kel nahm ihm den Becher aus der Hand. Bist du sicher? fragten seine Augen. Kerris straffte die Schultern. Er fühlte sich schwach, doch das würde vergehen; es war stets vorbeigegangen. Er fühlte sich, als hätte ein Sturm ihn mit nassen, kalten Klauen geschüttelt und ihn dann zur Erde geschleudert, zerschlagen, aber sauber.
Barat fragte Thera etwas. Sie stritt mit ihm. Er schien zu beharren. Sie sah zu Kerris herüber. »Barat möchte gern wissen, aus welchem Stamm die Leute waren, die dich überfallen haben und die du gesehen hast.«
Also hatte auch Thera die Räuber in seinem Kopf gesehen. Kerris spürte, wie Kels Muskeln sich spannten. Er antwortete: »Ich weiß es nicht.«
Sie gab dies weiter. Barat blickte finster drein. Er fuhr mit einem Finger das Perlmuster auf seiner Tunika nach. Thera sagte: »Er will wissen, was für Perlzeichnungen sie auf den Kleidern hatten, die sie trugen. Das ist von Stamm zu Stamm verschieden.«
Kerris sagte mit vorsichtiger Deutlichkeit: »Ich war drei
Weitere Kostenlose Bücher