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Die Tänzer von Arun

Titel: Die Tänzer von Arun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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sagte: »Mirian sagt, es ist viele Jahre her, seit sie ihren Geist frei von der Schutzmauer hat schweifen lassen. Aber sie sagt, wenn ihr helfen würdet, dann will sie es versuchen.«
    Sefer lächelte. »Gut. Gut.« Die Alte neigte den Kopf zur Seite, als bemühe sie sich, die unvertraute Sprache zu verstehen. Auf ihren Handflächen waren dicke Schwielen. Ihr Mund spannte sich. Sie schloß die Augen. Der Mund wurde rund wie der eines Säuglings. Sie schauderte zusammen, dann entspannte sich ihr Gesicht. Tränen quollen ihr unter den Lidern hervor. Thera übersetzte das leise Flüstern der Stimme.
    »Ich fühle dich. Ich fühle euch. Euch alle.« Sie ließ die Hand in den Schoß sinken und schaute der Reihe nach ihre Gefährten an. »Keine Kinder mehr, die wie Ratten gehetzt werden, wie Fohlen gebrandmarkt. Nie mehr. Wir werden zu ihnen gehen, wir werden sie finden, und wir werden sie heimholen. Sie können uns nicht berühren, versteht ihr es nicht? Nie wieder, niemals mehr.« Sie hob ihre Hand flehend. Der Gram in ihrem Gesicht war schrecklich. Unkontrolliert quoll die Qual aus ihrer Seele auf. »Ach, die Toten, diese vielen Toten! Ach, lebte doch meine Mutter, lebte doch mein Vater noch!«
    ... Er war klein. Der Donner dröhnte um seine Ohren. Regen näßte seine Kleider. Der Himmel war eine riesige faserige Mauer aus Wolken. Der Regen hatte Vogelstimmen. »Mama?« fragte er und spürte, wie sich ihre Arme fester um ihn schlossen. Die Bewegungen des Pferdes wurden unruhiger. Das Atmen fiel schwer. Er versuchte den Kopf aus den Mantelfalten zu strecken. Die Stimmen schrien. Er schob die Finger hoch und zog sich den Mantel vom Gesicht. Vogelhafte, nichtmenschliche Gesichter stießen aus dem Himmel herab. Das Pferd raste dahin. Er spürte das heftige Schlagen des Herzens seiner Mutter. Er spürte einen Ruck. Der Himmel schüttete weißes Wasser über ihn. Ein scharfer Schmerz stach durch seinen rechten Arm. Er schrie nach seiner Mutter, spürte, wie sie fiel und ihn mit sich riß. Sein Kopf füllte sich mit Bildern, hellen Gesichtern – Kerwin, nika, dich niemals wieder zu sehen, Lea-meine-Freundin, Kel-mein-Sohn, o meine Mutter – heulend vor Entsetzen warf er sich gegen den Leib seiner Mutter. Die Erde wankte. Sein Arm tat weh. Sein Kopf schwoll von Schrecken, Schmerz, Verlust, dem entsetzlichen Verlust, er konnte es nicht mehr ertragen, er versuchte es abzuwehren. Etwas wuchs herauf in seinem Kopf und schnappte ein. Er brüllte vor Schmerz, doch inzwischen hatte der fragende Geist seiner Mutter sich aus dem seinigen zurückgezogen und sich mit dem ihres Bruders verbunden, der Tagesritte entfernt war. Er kauerte in der weißen Weite, allein, verlassen, voll Schmerzen, ohne Rettung. »O Gott, das Kind!« Hände hoben ihn auf. »Ai, sein Arm!« Er achtete nicht auf die Stimme. Er kannte sie nicht. Die Welt war ein Schatten, und er war allein, inmitten gestaltloser Fremder ...
     
    Langsam fand er zurück. »Kerris, Kerris!« Jemand rief seinen Namen. Das war ein wirklicher Laut. Er bewegte sich. Seine Muskeln zuckten. Er roch den scharfen Duft zerdrückten Grases. Er lag mit dem Gesicht darin vergraben. Er schluckte. Die Kehle tat ihm weh. Der Kopf tat ihm weh. Er schmerzte allüberall, wie wenn er geprügelt worden wäre. Er holte tief Luft. Seine Rippen ächzten.
    »Er kommt zurück.« Das war Sefers Stimme. Eine Ameise wanderte an seiner Nase vorbei, die schwarzen Beinchen krabbelten. Er mühte sich, den Kopf zu drehen. Die Welt ringsum wurde scharf und wieder unscharf in seinem Blick. Er sah grünen Grassoden vor sich, einen Flecken Grau. »Kerris, magst du dich aufsetzen?« Er krächzte etwas. Hände zogen ihn empor.
    Er sah die vogelhaften Gesichter aus seiner Traumerfahrung, hohe Wangenknochen, braune Gesichter, fremdartig. Und sein Inneres erstarrte zu Eis.
    »Kerris!« Finger umspannten seinen Kopf. Er blickte in ein Gesicht, das er kannte: blasse Haut, fahles Haar und Augen wie grüne Lichter. »Du bist in Sicherheit. Erkennst du mich? Sag, wie ich heiße!«
    »Sefer.« Sein Mund fühlte sich verklebt an.
    »Du bist im Garten des Tanjo, in Elath, und Kel hält dich fest. Nika, beweise es ihm!«
    Hände berührten ihn, streichelten ihn. Eine warme Zunge verweilte an seinem Hals. »Erinnerst du dich?« Die nachdrückliche Zärtlichkeit ließ ihn erschauern. Er wandte den Kopf. Thera, Barat, Jacob – da waren diese fremdartigen Vogelgesichter aus seinem Traum: die Asech.
    Er war schweißüberströmt. Schmerz

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