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Die Tänzerin von Darkover - 9

Die Tänzerin von Darkover - 9

Titel: Die Tänzerin von Darkover - 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Wettergespür nicht entwickelt? Oder die Schwellenkrankheit nicht überlebt? Du weißt doch, daß in deiner Familie sehr viele jung sterben.«
    Die schmerzliche Erinnerung an ihren geliebten älteren Bruder und an drei jüngere Geschwister schnitt ihr in die Seele, aber das ließ Irina nur um so bestimmter auftreten. »Dann habt ihr nichts verloren«, erklärte sie. »Dann könnt ihr immer noch jemanden wählen.«
    Paolo schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht recht. Ich würde für deinen Vater eine Menge tun, aber das …«
    »Ihr seid es ihm schuldig«, flehte Irina unter Tränen. »Ihr seid es Großvater schuldig! Und nicht zuletzt seid ihr es Mardic schuldig!
    Er kann doch nichts dafür, daß er erst neun ist. Seinen Anspruch auf Vaters Boot würdet ihr schließlich auch wahren. Warum dann nicht seinen Anspruch auf Vaters Position?«
    Paolo war verunsichert, denn sie hatte recht: Auch die minderjährigen Söhne und Töchter eines verstorbenen Fischers behielten ein Anrecht auf das Boot. In einer Dorfgemeinschaft, in der so viele so früh und unerwartet starben, waren die Familienbande besonders wichtig.
    »Versucht es doch«, bedrängte Irina ihn. »Wenigstens versuchen könnt Ihr es. Bis Mardic sechzehn ist. Bis wir sicher sind.«
    »Also gut, bis wir sicher sind. Bis wir einen dieser Zauberkundigen erreichen – wie heißen sie noch gleich? – einen dieser Laranzus. Bis einer von denen kommt und sich den Jungen ansieht und feststellt, ob er das Wettergespür bekommt oder nicht.
    Und keinen Tag länger.« Paolo blickte im Kreis umher, und die anderen nickten ihm zustimmend zu.
    Irina schluckte kurz; Sieg und Niederlage lagen dicht beieinander.
    »Einverstanden«, war alles, was sie sagte.
    Beim Verlassen der Halle debattierten die Männer noch immer mürrisch die plötzlich eingetretene Wendung. Mhari legte ihre Hand ermutigend auf Irinas Schulter, dann folgte auch sie den anderen.
    Irinas Blick fiel auf die Bahre ihres Vaters, und sie fragte sich, was sie getan hatte. Sie konnte doch unmöglich Anführerin sein. Sie, die noch nicht einmal einen Haushalt führen wollte, konnte doch unmöglich die Last der Verantwortung für das gesamte Dorf auf ihre Schultern laden!
    Aber was wäre ihr anderes übriggeblieben? Sie konnte nicht zulassen, daß man Mardic um sein Erbe brachte. Wenn sie einen anderen ernannt hätten, könnte es zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre dauern, bevor Mardic die ihm zustehende Position wiedererlangen würde. Und jener andere, wer immer es auch sei, hätte wiederum Söhne, die ihrerseits Mardics Erbe streitig machen würden, selbst wenn er das Wettergespür entwickeln sollte. Und das war keinesfalls so sicher, wie Irina es in der Halle dargestellt hatte.
    Nein, sie hatte keine andere Wahl gehabt. Dennoch erzitterte sie bei dem Gedanken an das, was jetzt vor ihr lag. Nun lag es an ihr, die Boote bei Sonnenschein durch die Brandung zu führen und wieder sicher zurückzubringen. Das Leben der Besatzung – Väter, Ehemänner und Söhne, und auch einige Mütter und Töchter – war ihr anvertraut. Und sie besaß kein Laran, das ihre Sicherheit gewährleistet hätte; sie besaß kein Wettergespür.
    »Ach, Vater«, rief sie verzweifelt, und zum ersten Mal seit seinem Tod kniete sie am Leichnam ihres Vaters und weinte.
    Der Morgen dämmerte.
    Irina begrüßte ihn mit geröteten Augen und der Vorahnung eines drohenden Unheils. Sie war noch zu jung, um ihr Gefühl der Angst und Trauer besser einschätzen zu können. Mardic und sie gingen Hand in Hand zu dem Boot, auf das man den Leichnam ihres Vaters gebracht hatte.
    Es war ein trüber und wolkenverhangener Tag. Normalerweise wären die Boote bei solchen Bedingungen im Hafen geblieben, und man hätte sich mit dem Ausbessern von Netzen und Segeln beschäftigt. Aber heute sollte es ohnehin nicht weit hinaus gehen, sondern nur bis zur Hafeneinfahrt und dann wieder zurück. Selbst wenn der Sturm der letzten Nacht wieder auffrischen sollte, würden die Boote sicher zurückkehren können.
    Schweigend legten sie ab. Und nur kurze Zeit später wurde der Leichnam ihres Vaters der See, die ihn Zeit seines Lebens ernährt hatte, übergeben. Als sie wieder an Land waren, ging Irina zum Haus zurück und legte ihr schweres, braunes Wollkleid ab. Bei der nächsten Ausfahrt würde sie bereits die weiten Arbeitshosen anhaben, die Frauen beim Fischfang immer trugen. Und sie würde an Bord mit anpacken; ganz anders als in den sorglosen Tagen unter der Anleitung ihres

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