Die Tänzerin von Darkover - 9
schon einen Ausweg finden. Sie mußte bei dem Gedanken leicht lachen – schließlich war das ihr Laran: einen Weg zu finden!
»Anna, wir sind wieder zurück«, rief sie, als sie das Haus betrat.
Und als sie ihre nassen Kleider auszog, war Irina noch immer nicht ganz bewußt, daß sie sich bereits einer Zukunft verschrieben hatte, die so ganz anders war als das, was sie noch vor wenigen Tagen auf sich hatte zukommen sehen.
MARY K. FREY
Die Gunst der Götter
Mary Frey hat bereits in zwei meiner vorangegangenen Anthologien Geschichten veröffentlicht. Sie unterrichtet nach wie vor Französisch an einer High School, und »meine Schüler sind der Meinung, ich sollte den Lehrplan ändern, damit sie meine Geschichten lesen können, anstatt unregelmäßige Verben zu pauken.« Das wäre uns allen sicherlich lieber. Sie möchten natürlich auch wissen, ob sie in ihren Geschichten als Figuren auftauchen, was Mary selbstverständlich verneint.
Bob Silverberg wurde einmal gefragt, ob seine Charaktere irgendwelchen lebenden Personen nachempfunden seien. Seine Antwort lautete, daß alle Figuren in seinen Geschichten einer lebenden Person nachempfunden sind:
»Und diese Person heißt Robert Silverberg.«
In dieser Aussage liegt eine Wahrheit, die die fiktive Welt im wesentlichen immer wahrhaftiger als die bloßen Fakten erscheinen läßt. Beim Schreiben erzählt man fortlaufend »Lügen« … und doch zugleich auch eine innere Wahrheit über sich selbst. Und wer nicht bereit ist, alles zu enthüllen –
der sollte doch lieber bei seinen (anderen) Leisten bleiben. Denn selbst wenn man »klassische Fantasy« über Drachen und Elfen schreibt, wird man nicht vermeiden können, alles – jawohl, alles! – über seinen eigenen Charakter zu enthüllen. Wer sich daran nicht verbrennen möchte, der sollte besser die Finger von diesem heißen Eisen lassen.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie die Männer von Snowcloud Forest in den Stallungen oder bei der Rückkehr aus der einzigen Taverne des Dorfes Rafe als den größten Schwertkämpfer in den Hellers beschrieben. Ich war damals neun oder zehn und mächtig stolz, den Mann, dem dieses Lob galt, nicht nur persönlich zu kennen, sondern sogar mütterlicherseits mit ihm verwandt zu sein.
In jenem Jahr war ich plötzlich kräftig in die Höhe geschossen und ich setzte alles daran, jede sich mir bietende Gelegenheit zu ergreifen, in dieser Welt zu Ruhm zu gelangen.
Genaueres über Rafes Fähigkeiten erfuhr ich, als er uns von seinen Abenteuern im Tiefland erzählte, wo er den Sommer als Söldner in Lord MacArans Diensten verbracht hatte. So saßen wir an vielen dunklen Winterabenden, wenn der Wind um die Giebel pfiff und der Schnee sich vor dem Haus auftürmte, um den Herd versammelt und lauschten meinem Verwandten.
Wenn ich alleine war, versuchte ich mir vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn sich herausstellen sollte, daß Rafe und ich tatsächlich Halbbrüder waren; dazu dachte ich mir eine ausgeklügelte Abfolge der unwahrscheinlichsten Ereignisse aus, die dies hätte erklären können. In Wahrheit war natürlich alles wesentlich weniger romantisch: Rafes Mutter war die ältere Schwester meiner Mutter, und als seine Eltern beide am Sommerfieber starben, noch bevor Rafe ein Jahr alt war, mußte sich die Familie seiner Mutter um ihn kümmern. Meine Großmutter war zu der Zeit wohl schon zu alt, um noch ein Kind aufzuziehen, und so willigte sie ein, daß meine Mutter diese Aufgabe übernehmen sollte, auch wenn sie selber fast noch ein Kind war.
Rafe war, wie viele der Bergbewohner, in deren Adern kein Comyn-Blut floß, dunkelhaarig. Die Männer im Dorf ließen sich über Winter oft einen Bart stehen, aber da Rafe zu Dom Valentins Offizieren gehörte, war er stets glatt rasiert. Im flackernden Widerschein des Herdfeuers erschienen seine Augen eher schwarz als grau. Ich erinnere mich auch dunkel daran, wie die Frauen über sein blendendes Aussehen tuschelten, wenn sie sich von Männern unbeobachtet glaubten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich jemals an Rafes Stärke und Mut gezweifelt hätte; das hätte einfach nicht zu Rafe gepaßt. Dabei war er damals höchstens zwanzig Jahre alt – aber das wurde mir erst sehr viel später klar.
Meine Freunde und ich waren unterdessen davon überzeugt, daß es für uns keine strahlendere Zukunft geben könnte, als es Rafe gleichzutun und Offizier in Dom Valentine MacArans Leibgarde zu werden. Was wir an jenen dunklen, schneereichen
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