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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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aber dann dachte sie,
daß es wahrscheinlich Marie war, die sich Sorgen machte, weil
ihre Tochter immer noch nicht zurückgekehrt war, und die sich
noch mehr aufregen würde, wenn niemand ans Telefon kam,
und so erhob sie sich schwerfällig und hob den Hörer ab.
»Ja?« fragte sie.
    Von der anderen Seite kam ein Flüstern, das sie nicht
verstand und von dem sie nicht ausmachen konnte, wem es
gehörte. Im ersten Moment dachte sie, es sei Henri, betrunken
und weinerlich, und fast hätte sie laut geflucht vor Ärger, weil
sie sich gemeldet hatte. Aber dann vernahm sie in all dem
Gestammel einen vollständigen Satz.
»Ich bin es. Laura.«
»Laura?« Der letzte Mensch, mit dem sie reden wollte, noch
weniger als mit einem durchgeknallten Henri. »Laura, ich
verstehe dich ganz schlecht.«
    Sie wollte schon auflegen. Einfach auflegen und
nicht mehr
drangehen, wenn es wieder klingelte. Aber irgend etwas hielt
sie zurück. Später dachte sie, daß sie Lauras Angst und
Verzweiflung wohl gespürt hatte.
»Bitte hilf mir.« Sie wisperte nur. »Es ist jemand Haus.«
    »In deinem Haus? Wer denn? Laura, kannst du nicht lauter
sprechen? Hast du etwas getrunken?«
»Du mußt ...« Das eigenartige Gespräch wurde mitten im
Satz abgebrochen.
Nadine lauschte noch einen Moment lang in den Hörer, legte
dann auf. War das wirklich Laura gewesen? Die Stimme hatte
sie in diesem Flüsterton nicht erkennen können, aber ein
deutscher Akzent war es auf jeden Fall gewesen. Sie schaute
auf die Uhr: Es war zehn Minuten nach zehn. Weshalb rief
Laura um diese Zeit bei ihr an? Und benahm sich so
eigenartig? Warum redete sie nicht laut und deutlich?
Betrunken, dachte Nadine, sie war einfach betrunken.
Ob sie etwas weiß?
Wahrscheinlich wußte sie alles. Der Kommissar, der sie
vernommen hatte, war vermutlich auch bei Laura gewesen.
Vielleicht hatte Laura heute, an diesem Tag, erfahren, daß ihr
Mann ein Verhältnis gehabt hatte, daß er dicht davor gewesen
war, mit einer anderen Frau im Ausland ein neues Leben zu
beginnen. Daß die Frau eine gute Bekannte, fast eine Freundin
war.
So etwas mußte schrecklich weh tun.
Oder hatte sie es vorher schon gewußt?
Zum erstenmal stellte sich Nadine diese Frage. Peter hatte
immer behauptet, Laura habe keine Ahnung, aber es war
tatsächlich eher selten, daß eine Ehefrau über den Zeitraum von
vier Jahren hinweg nicht mitbekam, daß ihr Mann fremdging.
Obwohl die räumliche Distanz zwischen ihr, Nadine, und Peter
wiederum zu groß gewesen war, um häufige Treffen zu
erlauben. Über Monate war Peter abends pünktlich vom Büro
nach Hause gekommen. Der klassische Fremdgeher mit
Überstunden und ständigen Geschäftsessen war er nie gewesen.
Wenn sie’s nicht wußte, dann weiß sie es jetzt, dachte
Nadine, und dann hat sie sich wahrscheinlich komplett
vollaufen lassen, und das letzte, was sie geschafft hat, war,
meine Nummer zu wählen. Kein Wunder, daß ich ihr im Kopf
herumgehe.
Sie zündete sich eine Zigarette an und setzte sich wieder auf
die Treppe.
12
    Erst um Viertel nach zehn konnte Pauline das Hotel verlassen.
Es hatte Ärger gegeben; in der Wäschekammer fehlte eine
beträchtliche Anzahl an Handtüchern, und die Chefin selbst
hatte sich der Sache angenommen. Die Zimmermädchen
wurden angewiesen, strikt darauf zu achten, daß sie immer
dieselbe Anzahl an Handtüchern aus den Zimmern
herausholten, die sie zuvor hineingelegt hatten. Pauline hatte
wie auf glühenden Kohlen gesessen. Stephane wartete draußen
im Regen und war vermutlich miserabler Laune; mit jeder
Minute, die verging, durchweichte er mehr, und am Ende
würde sich noch herausstellen, daß alles ohnehin nur
Einbildung ihrerseits gewesen war. Sie konnte sich gut
vorstellen, wie er die halbe Nacht auf ihr herumhacken würde.
Das hatte er früher auch schon getan, wenn ihm etwas nicht
paßte, wenn sie das Essen nicht zu seiner Zufriedenheit
gekocht oder den Wein abends nicht kalt genug serviert hatte,
aber es hatte ihr nicht allzuviel ausgemacht. Sie hatte
abgeschaltet, und irgendwann war er auch wieder still gewesen.
Neuerdings hingegen hatte sie das Gefühl, in Tränen
ausbrechen zu müssen, wenn er sie nur schief ansah. Es war
erstaunlich, was in relativ kurzer Zeit aus ihren Nerven
geworden war. Kaum hatte sie das Berard endlich verlassen,
begann sie natürlich schon wieder daran zu zweifeln, daß
Stephane wirklich da war. Die ganze Zeit über hatte sie sich
ausgemalt, wie er im

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