Die Taeuschung
geworden. Ein paar Kacheln
klebten an den Wänden, der Lehmfußboden wurde zur Hälfte
von Fliesen bedeckt. Einmal – Nadine war sechs gewesen –
brachte er stolz einen Spiegel mit nach Hause, eine schön
gerahmte Antiquität.
»Für dich«, sagte er zu Marie, die zwei Nächte lang nicht
gewußt hatte, wo er war, und verschwollene Augen hatte, »für
dein Badezimmer.«
Es war das erste und einzige Mal gewesen, daß Nadine ihre
Mutter als Furie erlebt hatte. Marie hatte ihren Mann
angestarrt, als könne sie nicht fassen, was er da gerade sagte,
oder als könne sie nicht begreifen, wie er sie derart arglos
anlächeln konnte. Dann nahm sie den Spiegel in ihre beiden
Hände und schmetterte ihn mit aller Kraft auf den steinernen
Küchenfußboden. Glas und Rahmen sprangen in tausend
Stücke.
»Mach das nie wieder!« brüllte sie. Die Adern auf ihrer Stirn
traten hervor, und ihre Stimme überschlug sich. »Wage es
nicht, mich noch einmal so zu beleidigen! Behalte deinen Mist
für dich! Ich will keine Geschenke, ich will nichts! Nicht von
dir! Ich kann auf dein dummes Grinsen verzichten und auf dein
Gesäusle und auf all das, was ohnehin nichts wert ist!«
Nadine war in ihr Zimmer geflüchtet und hatte sich die
Ohren zugehalten. Irgendwann, als es schon lange ganz still
war im Haus, hatte sie sich wieder hervorgewagt und war in die
Küche geschlichen. Marie saß am Tisch, den Kopf in die
Hände gestützt, und weinte. Um sie herum lag der
Scherbenhaufen des zerbrochenen Spiegels. Von Michel war
nichts zu sehen.
»Mama«, sagte sie leise, »was ist denn los? Warum hast du
dich nicht über Papas Geschenk gefreut?«
Marie blickte auf. Nadine fragte sich zum erstenmal, wie
ihre Mutter wohl aussah, wenn sie keine verweinten Augen
hatte.
»Das verstehst du nicht«, sagte sie, »du bist noch zu klein.
Eines Tages wirst du es begreifen.«
Und irgendwann hatte Nadine es begriffen. Sie hatte
begriffen, daß es im Leben ihres Vaters ständig andere Frauen
gab, daß er ein Leichtfuß war, daß er seinen Launen nachgab,
wie es ihm paßte, daß er sorglos in den Tag hineinlebte und
sich kaum je Gedanken um andere Menschen machte. Er hatte
das schönste Mädchen zwischen Toulon und Marseille
geheiratet, aber sie vergraulte ihn mit ihrem dauernden
Gejammere, ihren Vorwürfen, ihrem Nörgeln.
Als Nadine vierzehn war und nichts stärker ersehnte, als das
Leben, das sie führte, endlich verlassen zu können, verliebte
sich Michel in eine Boutiquebesitzerin aus Nizza und zog von
einem Tag zum anderen bei ihr ein. Er verpachtete sein
Antiquitätengeschäft und erzählte jedem, ob er es hören wollte
oder nicht, er habe die Frau seines Lebens gefunden. Anfangs
tauchte er noch einige Male vor Nadines Schule auf, fing seine
Tochter ab, ging mit ihr in ein Cafe oder zum Essen und
berichtete ihr in schwärmerischen Worten, wie wunderbar sich
sein Dasein gefügt habe. Aber diese Besuche wurden immer
seltener, und schließlich erschien er gar nicht mehr.
Nadine hatte Marie damals immer wieder bestürmt, sich
scheiden zu lassen und endlich in eine gemütliche Wohnung
am Meer zu ziehen.
»Hier ist es doch furchtbar! Hier versauern wir! Es ist nichts
los, und dieses Haus ist einfach schrecklich. Und wieso willst
du noch an einen Mann gebunden bleiben, der dich nur
enttäuscht und betrogen hat?«
Aber die vielen Jahre der Frustration und des unaufhörlichen
Weinens hatten Marie alle Kraft gekostet. Sie brachte die
Energie nicht mehr auf, eine Veränderung in ihrem Leben
herbeizuführen. Sie fand sich mit dem Haus ab, mit der
Einsamkeit, mit all den nicht eingehaltenen Versprechungen,
von denen es wimmelte in ihrem Leben. Was keineswegs hieß,
daß sie aufhörte zu weinen. Sie hatte sich auch mit den Tränen
abgefunden, sie waren fester Bestandteil ihres Alltags. Nadine
hatte manchmal den Eindruck, ihre Mutter weinte, wie andere
rauchten, tranken oder sich sonst irgendeinem Laster hingaben.
Wenn sie ihre Arbeit getan hatte, oder wenn sie auch nur ihre
Arbeit unterbrach und sich einen Moment ausruhte, setzte sie
sich an den Küchentisch und weinte. Nach einer Weile stand
sie auf und machte weiter.
Mit achtzehn beendete Nadine die Schule und hatte alles
gründlich satt. Das häßliche, bröckelnde Haus, das nur aus
Provisorien bestand. Den ewigen Geldmangel, der von der
Tatsache ausging, daß Marie nichts verdiente und sie auf die
unregelmäßig eintreffenden Zahlungen Michels angewiesen
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