Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
oft, daß Anne
jeden Grund gehabt hätte, ihr die Freundschaft zu kündigen.
Sie war ihr dankbar für die Treue, mit der sie noch immer zu
ihr hielt.
»Du bist fixiert auf Peter, und daneben gibt es nichts«, fuhr
Anne fort, »aber woher willst du wissen, daß es bei ihm
genauso ist? Vielleicht empfindet er anders, und deine ... deine
Umklammerung wird ihm manchmal zuviel.«
»Ich umklammere ihn doch nicht! Er kann doch alles
machen, wie er möchte. Er lebt für seinen Beruf, und da habe
ich ihm noch nie hineingepfuscht!«
»Du wartest zu sehr auf ihn. Du fieberst ihm jeden Tag
entgegen, wenn er heimkommt. Du rufst ihn im Büro viel zu
oft an. Spätestens am Dienstag willst du wissen, wie und wo
ihr beide das kommende Wochenende zusammen verbringt. Er
muß dir jede Sekunde seiner Zeit versprechen. Hast du dir mal
überlegt, daß er das vielleicht manchmal als Druck
empfindet?«
Laura schwieg. Die Worte ihrer Freundin klangen in ihren
Ohren nach. Schließlich sagte sie leise: »Die Zeit wird mir
manchmal so lang ...«
»Du hättest nie aufhören sollen, zu arbeiten«, sagte Anne.
»Peter wollte es unbedingt.«
»Trotzdem war es falsch. Du hättest kämpfen müssen. Es
wäre so wichtig gewesen, etwas für dich zu behalten. Einen
Bereich, der dir gehört und der neben Peter auch eine
Bedeutung in deinem Leben hat. Glaub mir, du würdest viel
gelassener mit eurer Ehe umgehen. Was dieser außerordentlich
zugute käme.«
»Was soll ich denn jetzt machen?«
Anne stutzte, dann begriff sie, daß Laura nicht einen
beruflichen Neuanfang meinte, sondern bereits wieder zum
Anfang ihres Gesprächs zurückgekehrt war.
»Bombardiere ihn. Er hatte versprochen, sich zu melden, und
es ist höchst unfair, was er jetzt tut. Ruf ihn an, ruf seinen
Freund an. Ruf diese Bekannten von euch an, bei denen er
essen wollte. Kreise ihn ein. Erkläre ihm dann, was du von
seinem Benehmen hältst. Schmettere den Hörer auf die Gabel
und sei für den Rest der Woche nicht mehr zu erreichen.« Anne
atmete tief. »Soweit mein Rat, was Peter betrifft. Und was dich
angeht, so kann ich nur sagen: Fang endlich wieder an zu
arbeiten. Es ist fünf vor zwölf. Peter wird lamentieren, aber
schließlich einlenken. Ich kenne die Männer, am Ende beugen
sie sich dem Unausweichlichen. Und mein Angebot steht. Ich
kann eine gute Mitarbeiterin brauchen.«
»Anne, ich ...«
»Wir waren immer ein gutes Team. Denk noch manchmal
daran, was wir alles vorhatten. Es ist nicht zu spät dafür.«
»Ich rufe dich wieder an«, sagte Laura und legte den Hörer
auf.
5
    Christopher Heymann erwachte um halb elf an diesem Sonntag
aus einem komaähnlichen Tiefschlaf, und der Kopfschmerz fiel
über ihn her wie ein böser Feind, der seit Stunden neben
seinem Bett gelauert hatte. Neben seinem Bett? Nur ganz
langsam registrierte Christopher, daß er gar nicht in seinem
Bett lag. Seine Finger berührten Holz. Er fror, und als er nach
der Decke tastete, konnte er sie nicht finden. Der mörderische
Kopfschmerz hatte zunächst alles andere überlagert, aber
allmählich setzten sich auch andere Empfindungen durch, und
er merkte, daß jeder Knochen in seinem Körper wehtat.
»Scheiße«, flüsterte er heiser.
    Nach und nach kristallisierten sich Bilder vor seinen Augen
heraus. Er konnte Treppenstufen erkennen, die nach oben
führten. Die Füße eines antiken Tischchens. Einen
Schirmständer aus Messing, in dem ein blauer Schirm steckte.
Den Beginn eines weißlackierten Treppengeländers ...
    Der Flur seines eigenen Hauses. Der Eingangsbereich. Er lag
bäuchlings direkt hinter der Tür auf dem Fußboden, hatte einen
Preßlufthammer im Kopf, spürte Knochen, von deren Existenz
er bislang nichts gewußt hatte, und merkte, daß er sich jeden
Moment würde übergeben müssen.
    Das Telefon klingelte. Er vermutete, daß es das schon seit
einiger Zeit tat und er davon aufgewacht war. Es stand in dem
kleinen Kaminzimmer gleich neben dem Flur, aber er hatte
keine Idee, wie er dort hingelangen sollte. Die Schmerzen
tobten in seinem Körper.
    Mühsam versuchte er, den vergangenen Abend zu
rekonstruieren. Er hatte gesoffen. Er hatte gesoffen bis zum
Umfallen. In irgendeiner verdammten Hafenkneipe von Les
Lecques. In welcher? Das krampfhafte Erinnern verschärfte
den Kopfschmerz. Dies und das unaufhörliche Klingeln von
nebenan. Wer immer ihn anrief, er mußte von atemberaubender
Penetranz sein.
    Schemenhaft kehrten Bilder zurück. Der Hafen. Die

Weitere Kostenlose Bücher