Die Taeuschung
einer
besonderen Situation. Sie fühlte sich ungewöhnlich schwach,
suchte nach etwas, woran sie sich festhalten konnte. Sie wollte
ordentlich aussehen, damit überhaupt noch etwas ordentlich
war. Ihre Welt wankte: Zum erstenmal war sie am vergangenen
Abend ins Bett gegangen, ohne zuvor mit Peter gesprochen zu
haben.
Und hatte während der ganzen Nacht nicht einen Moment
geschlafen.
Ihr war klar geworden, wie abhängig sie von bestimmten
Ritualen war, wie abhängig von ihm, wie abhängig von dieser
Ehe. Ihre gesamte Gemütsverfassung stand und fiel mit den
Anzeichen dafür, ob zwischen ihr und Peter alles in Ordnung
war oder nicht. Es gelang ihr nicht, auszuweichen, andere
Prioritäten ins Spiel zu bringen und damit eine
Ausgewogenheit herzustellen. Es gab nur Peter. Er allein
entschied darüber, ob sie mit sich im Einklang war oder nicht.
Geduscht, gefönt, geschminkt und zumindest mit ihrem
Äußeren einigermaßen zufrieden, hatte sie sich in der Küche
ein Spiegelei gebraten und es anschließend in den Müll
gekippt, weil ihr allein bei dem Gedanken an Essen übel
wurde. Um halb zehn hatte Peter immer noch nicht angerufen.
»Das ist nicht normal«, sagte sie leise zu sich.
Oben begann Sophie in ihrem Zimmer zu krähen. Sie stand
in ihrem Gitterbett, als Laura hinaufkam, und streckte ihrer
Mutter beide Arme entgegen. Sophie sah ihrem Vater geradezu
lächerlich ähnlich. Sie hatte seine weit auseinanderstehenden,
graugrünen Augen geerbt, seine gerade Nase und sein breites,
strahlendes Lächeln. Laura erkannte nichts von sich selbst in
ihrem Kind.
»Wenn ich nicht so sicher wüßte, daß ich die Mutter bin ...«,
sagte sie manchmal scherzhaft. Es hatte ihr nie etwas
ausgemacht, ein Ebenbild Peters zur Welt gebracht zu haben.
An diesem Tag jedoch verspürte sie zum erstenmal einen leisen
Stich deswegen. Sie konnte ihn sich jedoch nicht erklären.
Sie nahm Sophie mit hinunter und fütterte sie. Die Kleine
war bester Laune, lachte viel und versuchte alles anzufassen,
was in ihre Reichweite geriet.
Es war fünf vor zehn, und Laura war noch beim Füttern, als
das Telefon klingelte.
Ihre Erleichterung war unbeschreiblich und erschütterte sie
beinahe. Sie hatte sich so sehr nach diesem Klingeln gesehnt,
daß sie nun, als es endlich ertönte, fast in Tränen ausgebrochen
wäre. Mit Sophie auf dem Arm trat sie hastig an den Apparat.
»Mein Gott, Peter, was war denn los?« fragte sie.
Zum zweitenmal innerhalb von zwölf Stunden traf sie auf
konsterniertes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Zum
Glück war es diesmal aber nicht Britta. Es war Lauras Freundin
Anne.
»Ich verstehe nicht ganz, was so tragisch daran ist, daß Peter
einmal nicht anruft«, meinte Anne sachlich, nachdem Laura
alles erzählt hatte, »aber wenn es für dich so schlimm ist, dann
würde ich ihm die Hölle heiß machen. Er kennt dich lange
genug, um zu wissen, daß dich sein Verhalten quält. Also
nimm keine Rücksicht auf ihn. Wähle jede Minute seine
Nummer. Irgendwann wird er reagieren.«
»Ich habe es doch schon versucht. Ich kann mir nur
vorstellen, daß er es aus irgendeinem Grund nicht hört. Und
das macht mir Sorgen.«
»Oder er hört es und will nicht«, sagte Anne, und als sie es
aussprach, begriff Laura, daß sie diese Möglichkeit schon die
ganze Zeit über in Erwägung zog und genau deshalb so tief
beunruhigt war.
»Das würde er nicht tun«, sagte sie, »warum sollte er auch?«
»Du weißt, ich kann manches an ihm nicht verstehen«, sagte
Anne. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie Peter
nicht besonders mochte.
»Vielleicht«, meinte sie, »sieht er diesen Segelausflug
wirklich als seine Woche. Nur er und sein Freund und das
Schiff. Er will diese Zeit ganz für sich haben. Sich wieder
einmal ganz unbelastet fühlen.«
»Und mit mir fühlt er sich belastet?« fragte Laura pikiert.
Anne seufzte. »Ich denke, du weißt, wie ich das meine.
Manchmal will man doch einfach ohne den Partner etwas
machen. Mit einer Freundin oder einem Freund zusammen.«
»Nun, ich ...«
»Bei dir ist das anders, ich weiß.« Kein Vorwurf klang in
Annes Stimme, was Laura ihr hoch anrechnete. Früher, als sie
zusammen zur Photoschule gingen, und auch später noch, als
sie erste Aufträge bekamen und davon träumten, irgendwann
einmal zusammen zu arbeiten, hatten sie ständig irgend etwas
gemeinsam unternommen. Mit Peters Eintritt in Lauras Leben
hatte das schlagartig aufgehört. Laura dachte
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