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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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gefühlt. Nicht mehr und nicht
weniger. Sie hatte ein wenig von dem Leben gelebt, das sie an
der Seite Stephanes erwartet hätte. Nicht, daß er der Mann
gewesen wäre, den sie je hätte lieben können. Aber er war die
einzige Rettung gewesen, die sie einmal, für kurze Zeit, hatte
wittern dürfen.
Sie erinnerte sich, daß sie an diesem Tag gar nicht hatte
gehen wollen, es schließlich jedoch nicht ausgehalten hatte,
darauf zu verzichten.
Vermutlich war sie ziemlich krank. Ziemlich gestört.
Vermutlich war es das Beste, einfach Schluß zu machen.
Irgendwo in ihrem Hinterkopf tickte das Credo ihrer
Kindheit. Henri brachte die Dinge in Ordnung. Henri war die
Quelle von Trost und Zuversicht. In Henris Armen konnte sie
weinen und schluchzen und dabei spüren, wie die Kälte um sie
herum langsam nachließ. Er war ihr Zuhause. Ihre Zuflucht.
Und er würde sie verstehen. Er hatte sie immer verstanden.
Sie hatte ihm gesagt, daß sie weggehen und nie mehr
wiederkommen würde, und seine Erleichterung war für sie
nicht zu übersehen gewesen. Es hatte weh getan, aber sie
wußte, daß es dabei nicht um sie ging, sondern um den Teufel,
den er geheiratet hatte. Er war erleichtert gewesen, weil er sich
eine Verbesserung seiner Beziehung zu Nadine versprach.
Womit er sich irren würde, das hatte sie genau gewußt, aber
den Weg mußte er allein gehen, den Irrtum selbst herausfinden.
Sie hörte ein Schluchzen und brauchte einen Moment, um zu
begreifen, daß sie es war, die diesen trostlosen Laut
ausgestoßen hatte. Alles hatte sich von ihr entfernt, sogar sie
selbst.
Wie habe ich nur so etwas tun können? Wie konnte ich mich
nur so weit erniedrigen?
Sie konnte in letzter Sekunde bremsen und würde sich später
darüber wundern, daß sie noch so geistesgegenwärtig reagiert
hatte. Sie war an der Kreuzung unterhalb des Berges von La
Cadiére angelangt, und sie wußte nicht genau, weshalb sie
geglaubt hatte, das ihr entgegenkommende Auto werde
geradeaus weiterfahren. Wahrscheinlich hatte es nicht geblinkt,
obwohl sie das nicht mit Sicherheit hätte sagen können. Völlig
unerwartet jedenfalls riß der Fahrer plötzlich das Steuer herum
und bog direkt vor Cathérines Nase nach links ab. Ihr Auto
rutschte auf der nassen Fahrbahn, kam jedoch zum Stehen.
Das Zittern ihrer Hände wurde stärker.
Es war Nadines Auto, das dort gerade so rücksichtslos um
die Kurve gejagt war, sie erkannte die Nummer. Die Fahrweise
entsprach allerdings weit mehr der von Henri; Manöver dieser
Art waren typisch für ihn, und schon manchmal hatten sie
deswegen heftig gestritten.
Aber was sollte Henri um diese Zeit hier? Oder Nadine? Die
Richtung, in der das Auto verschwunden war, war eindeutig:
Quartier Colette. Dort, wo der Mann, mit dem Nadine Henri so
gequält hatte, sein Haus gehabt hatte. Aber weshalb sollte einer
von ihnen jetzt noch dorthin fahren? Nach allem, was
geschehen war?
Ihr Gesicht war naß. Sie merkte, daß sie weinte.
15
    Nadine fuhr den kurvigen Weg zu Peters Haus hinauf und sagte
sich, daß es einfach idiotisch war, was sie tat. Nie wieder hatte
sie auch nur in die Nähe dieses Ortes kommen wollen, und sehr
rasch merkte sie nun auch, daß es ihr nicht gut tat. Eigentlich
mußte sie alles daransetzen, dieses Kapitel ihres Lebens zu
vergessen, um endlich nach vorn schauen zu können, und es riß
zweifellos alte Wunden auf, sein Territorium wieder zu
betreten. Noch dazu jenen Bereich, der für sein Eheleben
reserviert gewesen war. Und wie sehr hatte sie all die Jahre
unter dem Umstand gelitten, daß er verheiratet war und sich
nicht trennen mochte.
    Sie sah nicht ein, daß sie auch nur einen einzigen Finger für
Laura, die dumme Kuh, krumm machen sollte, und fast wäre
sie umgedreht, hätte es sich anders überlegt und wäre gleich
nach Le Beausset gefahren. Daß sie es nicht tat, lag nur an der
Enge des Serpentinenwegs. Es war unmöglich, einfach zu
wenden. Die nächste Gelegenheit würde sich ihr erst wieder
oben in der Einfahrt von Peters Haus bieten.
    Sie fluchte leise. Der Regen wurde stärker. Es war so dunkel.
Es war absolut absurd, daß sie hier herumgeisterte.
Sie hätte einfach noch einmal bei Laura zurückrufen sollen,
sich vergewissern, was los war. Ihre Scheu, ihr Unbehagen
gegenüber der Frau, in deren Ehe sie eingebrochen war, hatten
sie zurückgehalten. Ihr Handy hatte sie nicht dabei. Sie mußte
ihr jetzt entweder direkt gegenübertreten oder die Sache
vergessen und

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