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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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wandte er sich schon wieder dem Herd zu, zog mit
einem Fluch einen Topf zur Seite, griff hektisch ins
Gewürzregal, schüttete irgendwelche Dinge zusammen und
verrührte sie. Cathérine wußte, daß er ein Naturtalent beim
Kochen und Backen und daher auch in extremen
Streßsituationen sehr belastbar war. Für seine Pizza kamen die
Menschen von weit her.
    Seine kurze Berührung hatte weiche Knie bei ihr verursacht.
Mit zitternden Fingern schnitt sie die Zwiebeln. Noch immer.
Nach all den Jahren traf er sie noch immer in der Tiefe ihrer
Seele, wenn er sie anfaßte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen,
sie zog die Nase hoch, und Henri sah für einen Moment zu ihr
herüber. »Ist was?«
    »Nein.« Sie würgte die Tränen hinunter. »Es sind nur die
Zwiebeln.«
Henri verließ die Küche mit einem Tablett voller Gläser. Die
zweiflügelige Tür schwang hinter ihm auf und zu. Cathérine
dachte, wie unmöglich es von Nadine doch war, ihn derart im
Stich zu lassen – und es passierte an diesem Tag weiß Gott
nicht zum erstenmal.
Flittchen, dachte sie inbrünstig, billiges, kleines Flittchen!
Im selben Moment klingelte das Telefon.
Ein Apparat stand in der Küche, der andere vorn auf der
Theke, aber Cathérine nahm an, daß Henri keine Gelegenheit
hatte, den Anruf entgegenzunehmen. Sie selbst zögerte; es
konnte Nadine sein, die sich melden wollte, und sie wußte, daß
Henri es vor ihr am liebsten geheimhielt, wenn er seine
Cousine in der Küche beschäftigte. Nadine wurde ärgerlich,
wenn sie davon erfuhr, manchmal sogar richtig wütend.
Als das Telefon anhaltend klingelte, nahm Cathérine
entschlossen den Hörer ab. Weshalb sollte sie sich immer
verstecken? Schließlich sprang sie dort ein, wo eigentlich
Nadine hätte tätig sein müssen.
Um die erwartete Attacke sogleich abzuwehren, meldete sie
sich mit schroffer Stimme: »Hier ist Cathérine Michaud.«
Dann erst ging ihr auf, wie albern das war, und sie fügte hinzu:
»Restaurant Chez Nadine.«
Zu ihrer Erleichterung war es nicht Nadine. Sondern Laura
Simon aus Deutschland. Sie hörte sich schrecklich an. Irgend
etwas schien sie tief zu beunruhigen.
Als sie das Gespräch beendet hatte, setzte sich Cathérine für
einen Moment auf einen Küchenstuhl und zündete sich eine
Zigarette an. Henri mochte es nicht, wenn sie in der Küche
rauchte, und überdies hatten die Ärzte ihr geraten, die Finger
vom Nikotin zu lassen, da dies ihr Krankheitsbild
verschlimmern könnte. Aber manchmal brauchte sie ein wenig
Entspannung, und ihre Krankheit wurde so oder so nicht
besser.
Laura Simon. Sie hatte Laura und ihren Mann ein paarmal
im Chez Nadine erlebt, wenn Nadine nicht dagewesen war und
sie wieder einmal hatte einspringen dürfen. Außerdem war sie
den beiden einmal in der Altstadt von La Ciotat begegnet, und
sie hatten sie aufgefordert, einen Kaffee mit ihnen zu trinken.
Cathérine hatte beide gemocht, sich aber – wie üblich – nicht
gegen ein Gefühl von heftigem Neid auf Laura wehren können,
weil diese in einer glücklichen Ehe lebte, ein hübsches Gesicht
und glatte Haut hatte.
Henri kam in die Küche, runzelte einen Moment lang die
Stirn wegen der Zigarette, sagte aber nichts. Cathérine stand
auf, drückte den Glimmstengel im Spülbecken aus. Henri
wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Wer hat angerufen? Nadine?«
Wieviel Angst er hat, dachte Cathérine mitleidig.
»Laura«, sagte sie, »Laura Simon aus Deutschland.«
Sie beobachtete ihn genau. Da war ein Zucken in seinem
Gesicht, und er sah plötzlich noch eine Spur fahler aus.
»Laura? Was wollte sie?«
»Sie vermißt ihren Mann. Sie kann ihn nirgendwo erreichen,
und das letzte, was sie von ihm gehört hatte, war, daß er
hierher zum Essen kommen wollte. Gestern abend.«
»Er war da«, sagte Henri. Wer ihn kannte, konnte merken,
daß er ein wenig zu gleichgültig klang. »Er hat hier eine
Kleinigkeit gegessen und ist dann gegangen. Ziemlich früh.«
»Du solltest sie zurückrufen und ihr das sagen. Sie macht
sich schreckliche Sorgen.«
»Meine Auskunft wird ihr kaum weiterhelfen.« Henri
plazierte zwei riesige Pizzen auf großen Keramiktellern. »Gott,
wie die Leute heute fressen! Man kommt nicht nach. Ich rufe
sie an, Cathérine. Aber später. Im Moment schaffe ich es
einfach nicht.«
7
    Als Laura den Büroschlüssel fand, war es schon früher
Nachmittag, und es hatte endlich aufgehört zu regnen. Sie hatte
auf eine mechanische Art gesucht, wie etwa ein

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