Die Taeuschung
sagte er gern, »frische Luft, weitläufige Gärten und kaum
Verkehr auf den Straßen. Ich denke, wir haben damals richtig
entschieden.«
Auch in der Frankfurter Innenstadt war natürlich an diesem
Sonntag nicht allzuviel los. Wenig Autos, wenig
Spaziergänger, denn der Himmel versprach jede Menge neuen
Regen, und viele blieben wohl lieber in ihren Häusern. Das
Büro lag im achten Stock eines Hochhauses direkt an der Zeile.
Laura fuhr den Wagen in die Tiefgarage, stellte ihn auf Peters
Parkplatz. Sophie reckte hinten auf ihrem Kindersitz den Kopf.
»Papa!« rief sie freudig.
»Nein, Papa ist nicht da«, erklärte Laura, »wir gehen nur in
sein Büro, weil ich dort in seinen Sachen etwas nachsehen
muß.«
Sie fuhren mit dem Lift nach oben. Normalerweise herrschte
hier überall reges Leben und Treiben, aber heute war es wie
ausgestorben. Still und öde lagen die langen Flure da. Es roch
nach Putzmitteln und nach dem Teppichboden, der erst vor
wenigen Wochen verlegt worden war. Laura fand, daß er sich
überhaupt nicht von seinem Vorgänger unterschied. Ein helles,
phantasieloses Grau.
Peter teilte sich den achten Stock mit einer Anwaltskanzlei.
Sie benutzten denselben Eingang gleich gegenüber dem
Fahrstuhl, aber im Innenflur gab es dann eine weitere Tür, die
zu den Räumen der Juristen führte.
Peter hatte mit seiner Firma den kleineren Teil der Etage
besetzt, aber außer ihm gab es auch nur noch zwei
Mitarbeiterinnen und seine Sekretärin. Eine Presseagentur,
»klein, aber fein«, wie er immer sagte. Laura wußte – aber das
hätte sie nie ausgesprochen –, daß die Agentur klein, jedoch
keineswegs fein war.
Von seinem Zimmer aus hatte Peter einen wunderschönen
Blick über Frankfurt bis hin zu den verschwommenen,
graublauen Linien des Taunus, die sich an diesem Tag
allerdings hinter Regenschleiern verbargen. Laura hatte jedoch
ohnehin keinen Sinn dafür, hinauszuschauen. Sie setzte Sophie
auf den Fußboden, packte ein paar mitgebrachte Bauklötzchen
und Plastikfiguren aus und hoffte, diese würden die Kleine eine
Weile beschäftigen. Dann setzte sie sich selbst an den
Schreibtisch und starrte, einen Moment lang mutlos geworden,
auf die Papierberge, die sich vor ihr türmten. Ganz klein lugte
dahinter der Rand des Silberrahmens hervor, den sie Peter zum
letzten Weihnachtsfest mit einem Photo von sich und Sophie
darin geschenkt hatte. Er wurde fast völlig verdeckt von
Aktenordnern und sich türmender Korrespondenz. Peter hätte
ihn nur ein wenig anders plazieren müssen, dann hätte er ihn
immer ansehen können. Aber offensichtlich war ihm dieser
Einfall nicht gekommen. Oder er hatte das Bedürfnis nicht
verspürt.
Nach einer Stunde intensiven Suchens in allen Schubladen,
zwischen Papierbergen und Ordnern, war Laura der Antwort
auf die Frage, wo Peter sich aufhalten und was geschehen sein
könnte, noch nicht näher gekommen. Eines nur war ihr
merkwürdig erschienen: Sie hatte erstaunlich viele Mahnungen
gefunden, die sich offenbar auf eine ganze Reihe unbezahlter
Rechnungen bezogen. Es gab etliche sanfte »erste
Mahnungen«, drängendere »zweite Mahnungen« und eine
Reihe bedrohlich klingender Ankündigungen, man werde
nunmehr gerichtliche Schritte einleiten. Peter schien es stets
zum Äußersten kommen zu lassen, und dabei handelte es sich
häufig um nicht allzugroße Beträge, deren Bezahlung keinerlei
Schwierigkeiten darstellen dürfte.
Seitdem ich die Buchhaltung nicht mehr mache, dachte
Laura mit einer gewissen Befriedigung, klappt es eben nicht
mehr richtig.
Peter war immer schlampig gewesen, wenn es ums Bezahlen
ging, ob es Handwerkerarbeiten waren, bestellte Weinkisten
oder die Umsatzsteuer. Oder die Unterhaltszahlungen für
seinen Sohn. Sein Problem bestand weniger darin, den
geforderten Betrag herauszugeben, als vielmehr in seiner
Abneigung, irgendeine Art von Formular ausfüllen zu müssen.
Banküberweisungen waren ihm ein Greuel. Er schob sie so
lange vor sich her, bis er sie tatsächlich vergaß. Erst die
erbosten Schreiben seiner Gläubiger erinnerten ihn schließlich
wieder daran.
Laura hatte alle Mahnungen in einer Ecke des Schreibtisches
sortiert, denn irgend jemand würde sich ihrer annehmen
müssen – einige duldeten keinen Aufschub bis nach Peters
Rückkehr. Sie schaute sich im Büro um, so als hoffte sie, an
den Wänden Spuren und Hinweise zu finden. Aber da war
nichts. Ein Kunstkalender hing zwischen den Fenstern, aber
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