Die Taeuschung
Roboter, dem
ein Befehl eingegeben worden ist und den er nun ausführt,
ohne ihn zu hinterfragen. Der Anruf bei Christopher hatte sie
zutiefst verunsichert. Der Anruf im Chez Nadine hatte sie
keinen Schritt weitergebracht. Sie hatte danach weiche Knie
gehabt und zitternde Hände, und schließlich hatte sie sich
hingesetzt und sich selbst mit strenger Stimme befohlen, jetzt
nicht die Nerven zu verlieren.
»Ich muß überlegen, was ich als nächstes tue«, sagte sie laut.
Am liebsten wäre sie sofort ins Auto gestiegen und nach
Süden gefahren, aber es war zu spät, um noch bei Tageslicht in
La Cadière ankommen zu können. Zudem erschien es ihr
besser, Sophie nicht mitzunehmen, und sie mußte jemanden
finden, der sich um sie kümmerte.
»Also kann ich erst morgen los«, sagte sie, wiederum laut,
zu sich, »und was mache ich mit dem Rest dieses furchtbaren
Tages?«
Sie wußte, daß sie irgend etwas tun mußte, das sie Peter
näherbrachte, irgend etwas, das mit ihm zu tun hatte. Etwas,
das auch nur im entferntesten Aufschluß zu geben versprach
über sein plötzliches Untertauchen – sie nannte es
»Untertauchen«, denn »Verschwinden« hätte zu bedrohlich
geklungen, hätte zu viele bösartige Möglichkeiten in sich
geborgen.
Sie schaute in seine Schränke und Kommodenfächer, ohne
auf etwas zu stoßen, das anders aussah als sonst. Sie stöberte in
dem Sekretär im Arbeitszimmer herum, aber diesen hatte er
kaum je benutzt, und sie fand nur Dinge, die an ihre Zeit als
Buchhalterin des Büros erinnerten – alte Notizzettel,
Ringbücher, Hefte. Überdies fielen ihr Zeugnisse und
Prüfungsbescheinigungen aus der Photoschule in die Hände,
aber sie legte sie sehr rasch in die Schubfächer zurück.
Irgendwann war ihr dann die Idee gekommen, in Peters Büro
zu fahren. Dort hielt er sich schließlich jeden Tag über viele
Stunden hinweg auf, und wenn überhaupt, würde sie dort
fündig werden.
Den großen Schlüsselbund mit all seinen Schlüsseln führte
Peter natürlich mit sich, und so hatte sie fieberhaft nach dem
Zweitschlüssel gesucht, ihn schließlich in einem leeren
Einweckglas im Küchenschrank gefunden. Sie zog Sophie an,
nahm ihren Mantel und ihre Handtasche und verließ das Haus.
Die ganze Straße in dem feinen Frankfurter Vorort atmete
vornehme Gediegenheit und sehr viel Geld. Alle Häuser lagen
in parkähnlichen Anwesen, waren oftmals von den hohen,
schmiedeeisernen Gartentoren aus gar nicht zu sehen. Teure
Limousinen parkten in großzügigen Auffahrten. Industrielle
und Bankiers siedelten hier vor allem. Anne rümpfte jedesmal
die Nase, wenn sie Laura besuchte.
»Nimm es mir nicht übel«, hatte sie ganz zu Anfang zu
Laura gesagt, »aber ich könnte hier nicht atmen. Dieser ganze
zur Schau gestellte Reichtum ...«
»Hier protzt niemand«, hatte Laura widersprochen, »ich
finde, die Gegend ist sehr geschmackvoll.«
»Aber hier bewegt sich nichts! Jedes Haus gleicht einer
Festung! Die hohen Mauern, die Tore, die Alarmanlagen und
Überwachungskameras ...« Anne hatte sich geschüttelt. »Da
wird natürlich Wichtigkeit demonstriert! Und es ist überhaupt
nichts los! Keine Kinder auf der Straße. Nur leise Autos. Kein
Laut aus den Grundstücken. Hast du nicht manchmal das
Gefühl, lebendig begraben zu sein?«
»Ich könnte einen Mann wie Peter nicht ins Westend
setzen!«
Anne hatte sie eindringlich angesehen. »Und was ist mit dir! Sitzt du eigentlich da, wo du sitzen möchtest?«
Sie versuchte sich zu erinnern, was sie darauf geantwortet
hatte. Sie meinte, zusammengezuckt zu sein, ein klein wenig,
vielleicht mehr innerlich. Annes Frage hatte etwas in ihr
berührt, worüber sie eigentlich nicht nachdenken mochte. Sie
wußte, daß ihrer beider Leben im großen und ganzen nach
Peters Vorstellung verlief und nicht nach ihrer, aber meistens
gelang es ihr, sich einzureden, daß dies sowieso keinen
Unterschied machte. Im wesentlichen hatten Peter und sie
sowieso dieselben Vorstellungen, daher mußte sie über diesen
Punkt nicht nachdenken. Tatsache war, daß er für den Umzug
in diesen Vorort plädiert hatte und daß sie damals keineswegs
allzu begeistert gewesen war. Sie hatte die Idee von einem
Haus mit Garten gemocht, hätte aber eine belebtere, weniger
teure Gegend vorgezogen. Damals war Sophie noch nicht
dagewesen. Heute wies Peter stets darauf hin, wie klug sein
Vorhaben gewesen sei.
»Eine herrliche Ecke, um ein Kind aufwachsen zu lassen«,
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