Die Taeuschung
Ungewissen Zukunft?«
Die Übelkeit meldete sich wieder. »Ich weiß es nicht,
Mami.«
»Wie ernst sind denn seine finanziellen Probleme?«
»Auch da habe ich noch nicht den genauen Überblick. Ich
bin erst seit gestern mit all dem konfrontiert. Seit heute weiß
ich von ... seinem Verhältnis. Für mich haben sich noch nicht
alle Fäden entwirrt.«
»Also, wenn du meine Meinung hören willst«, sagte
Elisabeth und hörte endlich auf, das Spülbecken zu
malträtieren, »dann würde ich jetzt nicht nach Frankreich
fahren. Ordne hier erst einmal die Dinge. Deine finanzielle
Zukunft steht vielleicht auf dem Spiel. Die solltest du in
Ordnung bringen.«
»Für mich steht etwas ganz anderes auf dem Spiel«, sagte
Laura. »Wenn die Dinge so liegen, wie ich jetzt vermute, dann
ist Geld das letzte, was mich interessiert.«
Sie stand auf. Diesmal schaffte sie es zur Gästetoilette. Sie
übergab sich erneut. Das Gesicht, das ihr danach aus dem
Spiegel über dem Waschbecken entgegensah, erschien ihr
fremd.
Als gehörte es einer anderen Frau.
5
Monique Lafond hatte seit einer Woche ein schlechtes
Gewissen, und deshalb beschloß sie an diesem
Montagvormittag, den bohrenden Schmerz hinter der Stirn zu
ignorieren, ebenso wie den Umstand, daß sie noch immer
erhöhte Temperatur hatte. Sie war eine pflichtbewußte Person,
und für gewöhnlich ließ sie sich auch von Erkrankungen nicht
von einer einmal übernommenen Aufgabe abhalten. Aber diese
Grippe hatte sie mit einer nie zuvor gekannten Heftigkeit
erwischt, und sie hatte sich rasch und anhaltend in einer äußerst
schmerzhaften Stirn- und Nebenhöhlenentzündung etabliert.
Monique ging nie zum Arzt – und in den siebenunddreißig
Jahren, die sie nun lebte, war dies auch nie notwendig gewesen
–, aber diesmal war ihr schließlich nichts anderes übrig
geblieben. Er hatte ihr ein paar Medikamente verschrieben und
strikte Bettruhe verordnet.
Deshalb war sie nicht, wie vereinbart, am 29. September in
das Haus von Madame Raymond gegangen, um dort
sauberzumachen, sondern schleppte sich erst jetzt, über eine
Woche später, dorthin. Und kam sich deswegen irgendwie
schuldig vor.
Genaugenommen konnte es Madame Raymond gleich sein.
Sie war am 29. September heim nach Paris abgereist und
würde vermutlich erst an Weihnachten wieder nach St. Cyr
kommen. Die Absprache lautete dahingehend, daß Monique
am Tag der Abreise oder einen Tag später gründlich
saubermachte, den Herbst über alle zwei Wochen nach dem
Haus sah und kurz vor Weihnachten alles schön herrichtete,
ehe Madame wieder anreiste.
Sie hatte Madame Raymond an jenem letzten Samstag im
September in aller Frühe anzurufen versucht, war aber nur auf
den Anrufbeantworter gestoßen. Mit krächzender Stimme hatte
sie erklärt, zu krank zu sein, um zu putzen, sich jedoch nach
erfolgter Genesung sofort ans Werk zu machen. Madame
Raymond hatte nicht zurückgerufen, was darauf schließen ließ,
daß sie im ersten Morgengrauen aufgebrochen sein mußte.
Monique hatte einen Tag später noch mal in Paris angerufen,
jedoch auch dort nur den Anrufbeantworter erwischt. Da sie
nichts weiter hörte, ging sie davon aus, daß Madame mit allem
einverstanden war. Insgeheim empfand sie ihre Arbeitgeberin
als ziemlich unfreundlich. Nach all den Jahren hätte sie ihr
wenigstens eine gute Besserung wünschen können.
Es war fast schon Mittag – die Uhr zeigte wenige Minuten
vor zwölf –, als sie sich in der Lage fühlte, sich endlich auf den
Weg zu machen. Sie hatte drei Aspirin genommen und den
Schmerz damit ein wenig eingedämmt. Das leichte Fieber
wollte nicht sinken, aber sie beschloß, diesen Umstand zu
ignorieren.
Madame Raymonds Ferienhäuschen lag inmitten der Felder,
die sich zwischen dem Stadtkern von St. Cyr und den
Ausläufern der Berge erstreckten. Die Straßen waren schmal
und holprig, oftmals von kleinen Mauern gesäumt, und wilde
Blumen wuchsen an ihren Rändern. Kleine Gehöfte und
verwunschene Häuser lagen zwischen den Weinfeldern,
beschattet von alten Olivenbäumen. Im Sommer lastete hier
schwere Hitze, und knochentrockener Staub wirbelte auf, wenn
Autos in zu raschem Tempo über die kurvigen Sträßchen
brausten. Heute jedoch, nach dem völlig verregneten Vortag,
hob sich Feuchtigkeit aus den Wiesen. Der Himmel hing voller
Wolken. Monique betrachtete ein paar dünne Rauchsäulen, die
aus vereinzelten Schornsteinen stiegen. Ostwind. Es war keine
wirkliche
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