Die Taeuschung
St. Tropez, das sage ich dir.«
Mit der Zeit begriff Nadine, daß dies nie der Fall sein würde.
Das Chez Nadine wurde gut besucht, aber das Geld reichte
immer nur dafür, einigermaßen sorgenfrei zu leben – unter der
Voraussetzung, daß die Ansprüche denkbar bescheiden blieben
– und das Restaurant am Laufen zu halten. Nie gelang es ihnen,
etwas beiseite zu legen. Das Gourmetrestaurant in St. Tropez
rückte in immer weitere Ferne, und Nadine wußte irgendwann,
daß sie, wenn es nach Henri ging, für den Rest ihres Daseins in
Le Liouquet leben und Pizza und Pasta zwischen Küche und
Gastraum hin- und herschleppen würde. Denn er liebte das Chez Nadine. Es war sein ein und alles. Freiwillig würde er nie
von dort weggehen.
Und auch Cathérine hatte sich bereits ihr Plätzchen
gesichert. Wie sich herausstellte, hatte sie mit Henri vereinbart,
täglich im Chez Nadine auszuhelfen. Beim Spülen und
Saubermachen und – je nach Stand ihrer Krankheit – beim
Servieren. Dagegen nun wehrte sich Nadine mit aller
Heftigkeit.
»Ich will sie nicht hier haben! Diese Frau haßt mich wie die
Pest! Ich will nicht mit einer Person unter einem Dach sein,
von der ich weiß, daß sie mich zum Teufel wünscht. Und daß
sie dich haben will!«
»Ich habe es ihr aber versprochen«, sagte Henri unbehaglich,
»sie hätte sonst ihre Stelle nicht gekündigt.«
»Das ist nicht mein Problem. Mir hatte niemand etwas
gesagt. Ich hätte euch sonst gleich klargemacht, daß aus diesem
Plan nichts wird.«
»Wir brauchen aber eine Aushilfskraft.«
»Die gibt es wie Sand am Meer. Da müssen wir nicht
Cathérine nehmen.«
»Es geht für Cathérine doch nicht nur ums Geldverdienen.
Sie ist einfach ein zutiefst einsamer Mensch. Es ist ziemlich
ausgeschlossen, daß sie es je schafft, eine eigene Familie zu
gründen. Sei großmütig und laß sie ein wenig an unserem
Leben teilnehmen!«
»Sie hat mich zuerst abgelehnt, nicht umgekehrt. Ich will sie
einfach nicht da haben, Henri. Bitte respektiere das!«
»Du hast so viel mehr als sie. Du könntest doch ...«
»Was habe ich denn schon?« fragte Nadine bitter. »Eine
verdammte Pizzabude am Bein. Das ist alles!«
Es pendelte sich schließlich so ein, daß Henri Cathérine dann
und wann zu Hilfe holte, wenn Nadine nicht da war, und daß
ansonsten verschiedene Mädchen aus den umliegenden Dörfern
halfen. Für Cathérine war dies natürlich weit entfernt von dem,
was sie einmal angestrebt hatte. Sie griff danach, weil es das
einzige war, was sie bekommen konnte. Aber ihr Haß auf
Nadine – und das wußte diese -vertiefte sich mit jedem Tag.
Nadine ignorierte geflissentlich, daß sich die verhaßte Cousine
häufiger im Chez Nadine aufhielt, ebenso wie sie den Umstand
verdrängte, daß Henri in geschäftlichen Problemen und Fragen
Cathérine weit mehr zu seiner Vertrauten gemacht hatte als die
eigene Ehefrau.
Wahrscheinlich, dachte Nadine manchmal, ist er inzwischen
längst zu der Überzeugung gelangt, daß es vernünftiger
gewesen wäre, Cathérine zu heiraten und nicht mich. Die
beiden würden leben und sterben für das idiotische Lokal, das
dann Chez Cathérine hieße und für das sich Cathérine bei
lebendigem Leib vierteilen ließe.
»Worüber willst du mit mir sprechen?« fragte sie nun. Sie
stand in der Küche, hatte sich gerade eine Tasse Tee gemacht.
Sie schloß beide Hände fest um den heißen Becher, aber sie
wußte nicht, ob das Frösteln, das sie erfüllte, von der kühlen
Morgenluft herrührte, die durch die geöffnete Gartentür
hereinströmte, oder ob es ein inneres Frieren war, das aus ihrer
Seele kam.
»Ich dachte, das wüßtest du«, sagte Henri, »ich meine,
worüber wir sprechen sollten.«
»Ich habe nicht das Bedürfnis, zu sprechen«, sagte Nadine
und krampfte ihre Finger noch fester um den Becher. Ein
feineres Porzellan wäre bereits zersprungen, die dicke Keramik
hielt stand. »Wenn du reden willst, mußt du schon sagen,
worüber!«
Er starrte sie an. Er sah müde aus und alt. Oder vielleicht
nicht wirklich alt mit seinen sechsunddreißig Jahren, aber
verbraucht. Müde und verbraucht. Und sehr verletzlich.
»Nein«, sagte er erschöpft, »es müßte von dir ausgehen. Ich
bringe es nicht fertig, von mir aus anzufangen. Es ist ... zu
schrecklich.«
Sie zuckte mit den Schultern. Innerlich war sie angespannt,
sie fror und zitterte und wußte dabei, daß sie nach außen hin
kalt wirken mußte. Immer schon waren ihre Züge um so
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