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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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maskenhafter geworden, je mehr eine Situation sie aufwühlte.
In ihren Augen erlosch jedes Leuchten, ihre gleichmäßigen
Züge waren unbeweglich und wie in Stein gemeißelt. Ihr
Gegenüber mußte sich provoziert fühlen von soviel Starre.
Er kannte sie seit so vielen Jahren, und doch hatte er dieses
Muster ihres Wesens nie begriffen. Er sah nur ihre abweisende
Miene und dachte: Eines Tages werde ich erfrieren an dieser
Frau.
Und wußte, daß er längst erfroren war.
Und daß sie nie von sich aus zu ihm kommen und sprechen
würde.
An diesem kühlen Oktobermorgen so wenig wie zu
irgendeinem späteren Zeitpunkt.
4
    Um zehn Uhr an diesem Montagmorgen erschien Lauras
Mutter bei ihrer Tochter, um die kleine Sophie wieder
abzugeben und herauszufinden, was nun weiter geplant war.
Laura hatte ihr das Enkelkind am gestrigen Abend
überraschend gebracht und sich vage über eine »Notsituation«
geäußert; des weiteren hatte sie hinzugefügt, es könne sein, daß
sie kurzfristig nach Südfrankreich müsse, und ob ihre Mutter
dann die Kleine für eine weitere Woche übernehmen könne?
Elisabeth Brandt begriff nicht, was geschehen sein konnte, war
aber entschlossen, dahinterzukommen.
    Laura hatte den Telefonhörer am Ohr, als sie ihrer Mutter die
Haustür öffnete. Sie hatte gerade die Nummer des Hotels in
Pérouges gewählt, war an eine gelangweilte Frau geraten, die
gesagt hatte, sie werde sie weiterverbinden. Kurz zuvor hatte
sie Pérouges auf der Landkarte nahe bei Lyon entdeckt. Die
Entfernung bis Genf schien ihr zu groß, als daß sie sich
vorstellen konnte, Peter habe dort gewohnt und sei drei Tage
lang immer wieder viele Kilometer gependelt, um seinen Job in
der Schweiz zu erledigen. Ihr war plötzlich kalt geworden, und
eine Ahnung war in ihr erwacht, das Trümmerfeld ihres Lebens
könnte noch größer sein, als sie nach dem gestrigen
schrecklichen Tag vermutet hatte.
    »Ich verstehe nicht, weshalb du plötzlich nach Frankreich
mußt«, sagte Elisabeth anstelle einer Begrüßung. »Ich denke,
Peter segelt mit seinem Freund. Was sollst du dabei?«
»Gleich, Mami. Es gibt Probleme mit dem Haus.«
Sie bedeutete ihrer Mutter, mit Sophie ins Wohnzimmer zu
    gehen. Sie selbst blieb im Flur zurück. Elisabeth sprach und
verstand kein Französisch, sie würde dem Telefonat nicht
folgen können.
    Sie hörte, wie Elisabeth im Wohnzimmer mit Sophie
plauderte. Die Kleine quiekte und lachte; sie hing sehr an ihrer
Großmutter.
    Am anderen Ende der Leitung meldete sich nun die
Concierge des Hotels. Laura schluckte; sie hätte das Gespräch
am liebsten beendet, noch ehe es begonnen hatte, hätte sich
gern alles erspart, was auf sie zukommen mochte. Vielleicht
war es manchmal besser, nichts zu wissen. Aber ein Gefühl
sagte ihr, daß sie sich nicht lange würde verstecken können vor
der Wirklichkeit. Der Stein war längst ins Rollen geraten. Es
lag nicht mehr in ihrer Macht, ihn aufzuhalten.
    »Hier ist das Büro von Peter Simon in Frankfurt«, sagte sie.
»Ich mache die Buchführung und kann eine Abbuchung nicht
belegen. Monsieur Simon war im Mai Gast Ihres Hauses.
Können Sie mir sagen, wie hoch seine Rechnung war?«
    »Monsieur Simon. Warten Sie ...« Die Concierge schien in
einem Buch zu blättern. »Im Mai, sagen Sie? Moment, hier ...
Madame und Monsieur Simon aus Deutschland ...«
    Schlagartig erfüllte ein lautes Dröhnen Lauras Ohren. Die
Stimme der Frau aus Pérouges war weit weg. Sie nannte ihr
irgendeine Zahl, die Laura wie durch eine Wattewand hörte
und nicht begriff. Sie sank auf die unterste Treppenstufe und
dachte, sie würde gleich anfangen, mit den Zähnen zu
klappern.
    »Madame? Sind Sie noch da? Konnte ich Ihnen
weiterhelfen?«
Die entfernte Stimme der Concierge drang zu ihr durch. Sie
mußte irgendwie reagieren.
»Ja, vielen Dank. Das wollte ich nur wissen. Auf
Wiedersehen.«
Sie drückte auf die Taste, die das Gespräch beendete. Aus
dem Wohnzimmer hörte sie Elisabeths Stimme. »Du hast mir
übrigens Sophie gestern viel zu dünn angezogen abgeliefert!
Das geht so im Oktober nicht mehr!«
Schon wieder jemand, der eine Antwort wollte.
»Ja, Mami.«
Sie wußte nicht, wie sie sich von der Treppe erheben sollte.
Wenn sie es versuchte, würden wahrscheinlich ihre Beine
einknicken. Sie hätte mit dem Anruf warten sollen, bis sie
allein war. Nun hatte sie keine Ahnung, wie sie ihr
grenzenloses Entsetzen verbergen sollte. Wahrscheinlich war
sie kalkweiß im

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