Die Taeuschung
und ihr Guthaben war ziemlich geschrumpft, aber
das hatte sie nicht gekümmert, weil sie immer davon
ausgegangen war, ein einziges Wort zu ihm würde genügen
und den Geldfluß wieder in Gang bringen. Ansonsten hatte sie
eine Kreditkarte, die zu einem von Peters Konten gehörte, aber
mit der hatte sie schon seit längerem nicht mehr eingekauft.
Falls sie gesperrt war, hatte sie das nicht bemerkt.
Wie Dornröschen. Sie war ein echtes Dornröschen gewesen.
Von Rosen umrankt, in einem hundertjährigen Schlaf
gefangen.
Sie hatte bislang nicht geweint, und nicht einmal in diesem
Moment verspürte sie das Bedürfnis; ungewöhnlich bei ihr, die
dicht am Wasser gebaut hatte und bei weit geringeren Anlässen
leicht und schnell in Tränen ausgebrochen war. Nun stand sie
hier, an einem Ort, mit dem sich romantischste Erinnerungen
verbanden, und ihre Augen blieben klar und trocken. Dicht
neben ihr in einem Auto knutschten heftig zwei Männer, aber
sie beachtete dies kaum. Sie befand sich wie in einem inneren
Zwiegespräch mit dem Mann, den sie zu kennen geglaubt hatte
und der doch ein anderer war.
Hier hast du gestanden. Hast mit mir telefoniert. Müde seist
du, hast du gesagt. Kein Wunder, habe ich gedacht, nach der
langen Fahrt. Heute weiß ich, daß du eigentlich nicht müde auf
mich gewirkt hast, und vielleicht war es das, was das Gefühl
von Unruhe und Beklemmung in mir auslöste. Du schienst eher
angespannt, nervös. Mit Christopher auf Segeltour zu gehen
war etwas, das dich normalerweise glücklich und
ausgeglichen, freudig sein ließ. Aber du hast nicht die
geringste Freude ausgestrahlt. Es ging dir nicht gut. Du hattest
vor, deine Geliebte zu treffen und dich mit ihr aus dem Staub
zu machen, deine Schulden ebenso wie deine ahnungslose
Ehefrau einfach abzuschütteln. Du standest hier und kamst dir
vor wie ein Scheusal und ein Versager – und genau das warst
du auch und bist es noch.
Sie wünschte, sie könnte die kalte Verurteilung, die sie in
Gedanken aussprach, empfinden. Aber davon war sie noch weit
entfernt. Sie würde durch eine lange Zeit der Trauer gehen,
dann durch eine des Hasses und der Verachtung, und dann,
irgendwann, würde sie hoffentlich mit Gelassenheit und ohne
Emotionen an ihn denken.
Auf dem Weg zwischen dieser Zukunft und dem Jetzt lag die
Hölle.
Eine halbe Stunde später schloß sie die Tür zum Häuschen auf.
Ein kleines Haus im Quartier Colette, gebettet an einen sanft
ansteigenden Hang, auf dem in Terrassen der Wein wuchs. Das
Quartier gehörte zu La Cadiére, lag aber außerhalb; man
konnte den Berg, auf dem sich das eigentliche Dorf befand,
genau sehen, würde aber gut zwanzig Minuten dorthin laufen.
Das Quartier lag ein wenig abgeschirmt, wurde nur von einer
Privatstraße durchquert. Die Grundstücke waren groß und von
hohen Zäunen umgeben; die meisten Bewohner hatten Hunde.
Die Zahl der Einbrüche an der Cote war zwar zurückgegangen,
aber noch immer war man überall auf Sicherung des Eigentums
sehr bedacht.
Ihrem innersten Gefühl folgend, wäre Laura am liebsten
sofort zu Henri und Nadine gefahren, denn das Chez Nadine war die nächste Station, von der sie wußte, daß Peter sich dort
aufgehalten hatte. Aber dort war Ruhetag, wie ihr unterwegs
wieder eingefallen war, und sie scheute davor zurück, um diese
Uhrzeit privat dort vorbeizuschauen. Sie würde sich bis zum
nächsten Morgen gedulden.
Gleich beim Eintritt in das Haus hatte sie den Eindruck, daß
niemand hier gewesen war seit ihrem und Peters letztem
Aufenthalt im Sommer. Stille, Staub und Unberührtheit hingen
zwischen den Wänden. Dennoch ging sie von Raum zu Raum,
um sich noch einmal zu vergewissern, aber was sie sah,
bestätigte ihre erste Empfindung. Kein Bett war bezogen, die
säuberlich aufgeschichteten Decken und Kissen wiesen keinen
Knick, keine Delle auf. Unwahrscheinlich, daß jemand hier
genächtigt haben sollte. In der Küche gab es keine schmutzige
Tasse, keinen benutzten Teller oder Löffel. Im Bad kein
Handtuch, das aus dem Schrank genommen und gebraucht
worden war. Staub auf Tischen, Stühlen, Regalen. Peter hatte
das Haus nicht betreten.
Für diese Nacht lohnte es sich nicht mehr, die schweren
Fensterläden zu öffnen, und so verharrte sie in den
verbarrikadierten Räumen, atmete die stickige, dumpfe Luft
und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
Weshalb war er hierher gefahren? Hatte es etwas mit jener
Frau zu tun? Woher wollte sie wissen, daß
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