Die Taeuschung
es sich um eine
Französin handelte? Es konnte ein banales Frankfurter
Verhältnis sein, das sich in einem Stundenhotel im RheinMain-Gebiet abgespielt hatte. Wenn er ihr nicht gerade ein
Wochenende in Perouges spendierte. Kam sie wegen Perouges
auf eine Französin? Aber diesen Ort hatte Peter vielleicht nur
deshalb gewählt, weil er hoffnungslos frankophil war (mich hat
er schließlich auch immer wieder in dieses Land geschleppt,
dachte sie), oder deshalb, weil er tatsächlich in Genf zu tun
gehabt hatte, nur nicht ganz so ausgiebig, sondern so, daß
genügend Zeit für ein romantisches Wochenende geblieben
war. Sie konnten zusammen von Frankfurt aufgebrochen sein.
Aber weshalb dann jetzt die Provence?
Das muß nichts mit ihr zu tun haben, dachte sie, vielleicht
war sie auch nur ein flüchtiges Abenteuer. Vielleicht spielte sie
keine Rolle mehr. Vielleicht war er nur hierher gefahren, um
noch einmal das Land zu sehen, das er so liebte.
Vielleicht – plötzlich war sie wie elektrisiert – hatte er gar
nicht vor, abzuhauen. Vielleicht hatte er nur untertauchen
wollen. Es war nie ihr Verdacht gewesen, daß er ins Ausland
verschwinden wollte, Melanie hatte diese Vermutung geäußert,
und Laura hatte sie völlig unkritisch übernommen. Natürlich
auch deshalb, weil es plausibel klang. Aber deshalb mußte es
doch nicht so sein!
Ich habe diese Affäre viel zu sehr dramatisiert, dachte sie
und merkte, wie über diesem Gedanken der Schmerz ein wenig
Linderung erfuhr; in Wahrheit ist Peter einfach in Panik
geraten wegen seiner Schulden. Er hat sich verkrochen, er
sucht Ruhe und Abstand, er muß nachdenken. Er muß sich
überlegen, wie er mir beibringt, daß wir finanziell am Ende
sind. Daß wir unsere beiden Häuser verkaufen müssen. Daß
wir ganz neu und ganz klein anfangen müssen.
Auf einmal fühlte sie völlig sicher, daß er in ihrer Nähe war.
Natürlich hatte er sich nicht in dieses Haus zurückgezogen, wo
er greifbar und erreichbar war. Wahrscheinlich saß er in einem
Hotel oder in einem Appartement. Aber auch das mußte er
einmal verlassen. Sie kannte seine Spazierwege, kannte die
Flecken, die er am meisten liebte. Irgendwann in den nächsten
Tagen würden sie einander begegnen. Dann würde sie mit ihm
sprechen.
Ich könnte wieder arbeiten, dachte sie, und es war ein
beinahe schon freudiges Herzklopfen, das sie spürte. Wie heißt
es immer? In jeder Krise steckt die Möglichkeit einer positiven
Entwicklung. Peter und ich werden hinterher nicht mehr
dieselben sein.
Am nächsten Tag würde sie beginnen, ihn zu suchen.
Dienstag, 9. Oktober
1
Nadine wollte gerade das Haus verlassen, als Henris Stimme
sie zurückhielt. »Wo willst du hin?«
Das klang weniger scharf als ängstlich. Sie drehte sich um.
Sie hatte ihn gerade noch im Bad gehört, wo er sich rasierte,
und war überzeugt gewesen, daß er ihren Aufbruch nicht
mitbekommen würde. Nun stand er in dem kleinen Flur neben
der Küche, der zum Hinterausgang führte. Er hatte
Rasierschaum im Gesicht und einen Pinsel aus Dachshaar in
der Hand. Bekleidet war er mit einer Unterhose und einem TShirt, seine dunklen Haare standen noch verstrubbelt von der
Nacht um seinen Kopf.
Was für ein schöner Mann, dachte sie, und diese Feststellung
war so richtig wie die vom Vortag, als sie gedacht hatte: Wie
alt er ist! Was für ein schöner, schwacher Mann!
»Muß ich neuerdings Rechenschaft ablegen, wenn ich das
Haus verlasse?« fragte sie zurück.
»Ich denke, es ist eine Frage der Höflichkeit, wenn man den
anderen informiert, ehe man geht«, sagte er.
»Ich mache einen Spaziergang. Einfach einen Spaziergang.
Ist das in Ordnung?«
Er taxierte sie von oben bis unten. Sie wußte, daß er von ihr
ganz sicher nicht dachte, daß sie schön sei. Nicht an diesem
Morgen. Sie hatte sich im Spiegel gesehen und sich unattraktiv
wie nie zuvor gefunden. Selbst wenn sie krank gewesen war –
ein seltenes Ereignis bei ihrer robusten Gesundheit –, hatte sie
nicht so elend gewirkt.
Zerstört, hatte sie vorhin gedacht, ich sehe zerstört aus.
Sie war in ihren Jogginganzug geschlüpft, hatte die
strähnigen Haare lieblos zurückgebunden, auf Wimperntusche
und Lippenstift verzichtet. Das war absolut ungewöhnlich bei
ihr.
»Nadine schminkt sich immer, und wenn sie nur losgeht, das
Klo zu putzen«, hatten Freunde früher gewitzelt. Der etwas
mondäne Anstrich war Teil ihres Naturells gewesen. Jetzt kam
ihr das alles nur noch
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