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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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fließende Gewand nicht zu verbergen, das sie
ausgewählt hatte. Sie hatte es riskiert, trotz ihrer Größe dezente
Absätze zu tragen, denn Stephane hatte seine Größe in der
Anzeige mit einsneunzig angegeben, aber wie sich
herausstellte, mußte er ein wenig geschwindelt haben: Er war
kleiner als sie und würde es auch dann sein, wenn sie keine
Schuhe trug. Er musterte sie aufmerksam während des Essens –
Cathérine dankte Gott für den dunklen Novembernebel
draußen und das dämmrige Licht drinnen –, und nur einmal
meinte er: »Sie haben eine Allergie?«
Sie hätte sich fast verschluckt. »Ich war wieder leichtsinnig«,
antwortete sie dann, betont fröhlich, »ich vertrage keine
Nußschokolade, aber ich werde regelmäßig schwach.«
»Das bekommt auch der Figur nicht«, sagte Stephane.
Eigentlich mochte sie ihn kein bißchen. Er trug eine durch
nichts gerechtfertigte Arroganz zur Schau, nörgelte am Essen
herum und lehnte zweimal den Wein ab, ehe er ihn akzeptierte.
Er ließ mehrfach durchblicken, daß er Cathérine zu dick fand (
»Dagegen läßt sich ja etwas machen ...«), und legte ihr auch
nahe, auf den Nachtisch zu verzichten (»Die Preise sind ja
gesalzen hier!«). Er selbst trug den Hosenbund unter dem
Bauch und hatte für einen Mann einen ungewöhnlich
wabbeligen Hintern. Er war knappe einsachtzig statt der
angegebenen einsneunzig groß (»Ein Druckfehler der
Zeitung«), und seine Krawatte war von erlesener
Scheußlichkeit.
Mit dem Mann alt werden, dachte Cathérine, und Kälte
kroch in ihr hoch, aber dann dachte sie an ihre düstere, leere
Wohnung und an die unendliche Einsamkeit eines jeden Tages,
und sie befand, daß Stephane nicht schlimmer war als das, im
Lauf der Zeit vielleicht sogar besser.
Es gelang ihr, sich für den Rest der Woche nur abends mit
ihm zu verabreden und den Vorteil des Dämmerlichts für sich
in Anspruch zu nehmen, aber am Wochenende, als er nicht
arbeiten mußte – er war Angestellter einer Bank –, war es
damit vorbei. Am Samstag behauptete sie noch, im Chez
Nadine aushelfen zu müssen, aber für den Sonntag zeigte er
sich hartnäckig; er wollte mit ihr am Vormittag zu einem
Antiquitätenmarkt in Toulon gehen.
»Danach können wir irgendwo eine Kleinigkeit essen«,
meinte er, »und uns dann endlich einmal ganz konkret ein
Sportprogramm für dich überlegen.«
Sie begann ihn zu hassen, und mehr noch haßte sie ihr
Schicksal, das ihr keine Wahl ließ als diesen Mann, und selbst
um ihn mußte sie noch bangen.
Es war ein gleißend heller Wintermorgen, das Licht scharf
und kalt, und sie wußte, daß ihre Haut verheerend aussah.
»Himmel«, sagte er, als er ihr vor seiner Wohnungstür
gegenüberstand, »bist du diesmal in die Nußschokolade
hineingefallen, oder was?«
Dann schaute er genauer hin und runzelte die Stirn. »Das
sind ja fürchterliche Narben überall! Das kann doch keine
Allergie sein! Es sieht mir aus wie eine ganz schlimme Akne,
und zwar eine, die noch aktiv ist!« Das klang anklagend.
Catherine akzeptierte den Schuldvorwurf, sie hatte wesentliche
Fakten unterschlagen, was die Beschreibung ihrer Person
betraf, und wahrscheinlich war er zu Recht verärgert.
»Ich habe ja gesagt, ich bin nicht attraktiv«, erwiderte sie
leise, »aber ich ...«
»Nicht attraktiv! Dazu zähle ich, daß du zu dick bist,
strähnige Haare hast und dich unmöglich anziehst ...«
Sie hatte das Gefühl, geschlagen zu werden.
»... aber das da ist ja eine richtige Krankheit! Das hättest du
nicht vertuschen dürfen. Allergie! Daß ich nicht lache!«
»Schau mal«, sagte Cathérine, verzweifelt und bereit, sich
noch tiefer zu demütigen, »ich werde wirklich an mir arbeiten.
Ich werde abnehmen. Ich werde mir eine Dauerwelle machen
lassen. Ich werde ...«
»Laß uns gehen«, unterbrach er genervt. »Großer Gott, hast
du je daran gedacht, einen Arzt aufzusuchen?«
Sie trottete neben ihm her und versuchte ihm zu erklären,
daß sie jahrelang von einem Arzt zum nächsten gelaufen war
und daß sich zeitweise ihr ganzes Dasein nur in Warte- und
Sprechzimmern abgespielt hatte, aber sie hatte nicht den
Eindruck, daß er ihr zuhörte. Sie liefen über den
Antiquitätenmarkt, immer noch unter dem hellen, grellen Licht,
und Stephane blieb kaum einmal stehen, um sich etwas
anzuschauen. Die ganze Zeit schwieg er, und sie sah nur sein in
Wut erstarrtes Gesicht. Mittags gingen sie in ein kleines
Restaurant unweit des Hafens, und noch immer sagte er

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