Die Taeuschung
flachen Meeresschaum und schienen
irgendwelche Dinge zu betrachten, die sich im nassen Sand
abspielten. Der Vater erklärte etwas ...
Christopher merkte, daß er stehengeblieben war und zu
lächeln begonnen hatte. Der Anblick weckte warme
Erinnerungen in ihm: Er und Carolin mit den beiden Kindern
am selben Strand. Susanne, das Mädchen, voller
Entdeckungsdrang und Abenteuerlust vorneweg, so weit
manchmal, daß Carolin Angst bekam und hinter ihr hereilte.
Tommi, der Sohn, verträumt und sensibel, ein ganzes Stück
hinterher; auf ihn mußte man ständig warten, weil er Dinge
entdeckte, die außer ihm niemand sah, oder plötzlich stehen
blieb, die Wolken beobachtete und die Zeit dabei vergaß. Er
hatte es geliebt, die Verschiedenartigkeit seiner beiden Kinder
zu beobachten, er hatte die Ausflüge an den Strand geliebt, die
gemeinsamen Mahlzeiten, die abendlichen Rituale des Badens
und des Kuscheins vor dem Kaminfeuer im Winter.
Er hatte immer noch daran festgehalten, sich noch die Idylle
vorgegaukelt, als diese schon längst nicht mehr bestand. Im
Grunde hatte er nie ganz begriffen, weshalb sich Carolin immer
weiter von ihm entfernt hatte. Natürlich, sie hatte nie nach
Frankreich gewollt. Als er mit der Idee angekommen war, man
könnte dort leben und arbeiten, hatte sie dies für einen
hübschen Traum gehalten, der sich nie würde realisieren
lassen. Gemeinsam mit Christopher hatte sie in Bildern
geschwelgt und vom Leben in ewiger Sonne geschwärmt. Sie
hatte nicht gesehen, daß es ihm bitterernst war, und er hatte
nicht gesehen, daß sie nur ein wenig träumen wollte.
Irgendwann war er so weit, daß er es riskieren konnte, seine
Firmenberatungen, bei denen es um Verträge und Investitionen
ging, auch vom Ausland aus zu betreiben. Auf einmal wurde
das Phantasiegemälde Wirklichkeit. Und Carolin hatte das
Gefühl, sich zu tief eingelassen zu haben, um noch einen
Rückzieher machen zu können.
Sie hatte lange Zeit schmerzlich unter Heimweh gelitten.
Christopher hatte das unter anderem an den astronomisch
hohen Telefonrechnungen gemerkt, die bei ihren
Endlosgesprächen mit Familie und Freunden in Deutschland
aufgelaufen waren. Irgendwann hatte sie nur noch lamentiert,
und als er ihr – schließlich zermürbt – angeboten hatte,
zusammen wieder nach Deutschland zu gehen, hatte sich
herausgestellt, daß das Problem des Wohnorts schon lange nur
vorgeschoben war.
»Ich kann so nicht leben«, hatte sie während einer ihrer
unzähligen, ermüdenden Diskussionen gesagt, die sie meist im
Flüsterton führten, damit die Kinder nichts mitbekamen.
»Wie kannst du nicht leben?« hatte er zurückgefragt. Das
immer gleiche Frage-und-Antwort-Spiel. Wie üblich hatte sie
Probleme gehabt, diese Frage nach dem Wie zu beantworten.
»Es ist so ... eng. Ich habe das Gefühl, nicht atmen zu
können. Deine Vorstellung von Familienleben erdrückt mich.
Es gibt keinen Raum für Rückzüge. Es gibt keinen Raum für uns beide. Ohne Kinder. Nur wir! «
»Aber wir waren uns doch einig. Wir wollten dieses Leben.
Unsere Familie sollte immer vor allem anderen kommen. Wir
haben geträumt von gemeinsamen Unternehmungen. Von
einem Zusammensein, so oft es nur möglich ist. Von ...«
»Aber irgendwo sind wir doch auch noch Individuen!«
Das hörte sich nach den typischen Weisheiten einschlägiger
Selbstverwirklichungsbücher an, aber er wußte, daß sie so
etwas ganz selten nur las. Dann begann sie kühne Theorien
aufzustellen: Tommi fühle sich vom ungeheuren Aktionismus
seines Vaters völlig erschlagen und flüchte deswegen
zunehmend in Traumwelten. Susanne hingegen könne nicht zur
Ruhe kommen in »dieser Art von Familienleben« und habe
sich deswegen zu einem hyperaktiven Kind entwickelt. Sie
selbst, Carolin, leide unter den verschiedensten Allergien, weil
»mein Körper aufschreit«.
Mehr und mehr sah sich Christopher in die Rolle eines
Sündenbocks gedrängt. Er versuchte sich zurückzunehmen,
fuhr an den Wochenenden allein in die Berge oder segelte in
eine einsame Bucht, um seiner Familie die Gelegenheit zur
Selbstfindung zu geben.
Es war zu spät. Carolin hatte sich innerlich bereits von ihm
gelöst. Er hatte sie angefleht, es noch einmal zu versuchen, es
in Deutschland zu versuchen, an jedem Ort, den sie wählen
oder vorschlagen würde.
»Bitte, zerstöre nicht die Familie!« hatte er wieder und
wieder gesagt, »Wenn nicht um meinetwillen, dann denk doch
wenigstens an die
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