Die Taeuschung
entfernt entdeckt haben? Eine Aktentasche.«
»Oh ... ja, stimmt. Henri erwähnte das. Der Besitzer vom Chez Nadine. Mein Mann hatte eine Aktentasche bei sich. Er
hatte sich noch ein wenig gewundert deswegen.«
»Hm ... wissen Sie, was in dieser Tasche war?«
»Nein.«
»Schweizer Franken. In säuberlich gebündelten Banknoten.
In deutsche Währung umgerechnet, etwa zweihunderttausend
Mark.«
Sie starrte ihn an. »Das gibt es nicht!«
»Doch. Die Tasche und das Geld sind Tatsachen. Wir
werden den Restaurantbesitzer – Monsieur Joly – bitten, die
Tasche zu identifizieren, aber ich denke, wir können schon
jetzt davon ausgehen, daß es sich um den Besitz Ihres Mannes
handelt.«
»Aber«, sagte sie, »mein Mann ist ... war vollkommen pleite!
Er hatte bestimmt keine zweihunderttausend Mark mehr!«
Sie berichtete von seinen Schulden, die, so weit sie das
überblicken könne, existenzbedrohend seien. Der Kommissar
hörte sehr aufmerksam zu, machte sich hin und wieder
Notizen.
»Sehr eigenartig«, sagte er. »Ihr Mann ist pleite und
verschwindet von einem Tag auf den anderen, woraus man
durchaus den Schluß ziehen könnte, daß er vorhatte
unterzutauchen, um sich den zu erwartenden Schwierigkeiten
zu entziehen. Aber dann wird er kurz darauf ermordet
aufgefunden, mit einem Koffer voll Geld im Handgepäck.
Wobei das Geld seinen Mörder offenbar nicht im geringsten
interessiert hat. Wir haben es definitiv nicht mit einem
Raubmord zu tun!« Er spielte mit seinem Kugelschreiber
herum und stellte dann völlig unerwartet eine ganz andere
Frage.
»Hätten Sie Ihre Ehe als gut bezeichnet?«
»Eine Ehe mit den normalen Höhen und Tiefen.«
Er sah sie scharf an. »Das ist keine Antwort auf meine
Frage.«
»Doch. Unsere Ehe war gut. Aber wir hatten auch immer
wieder Probleme.«
Er war unzufrieden, das merkte sie ihm an. Er verfügte
tatsächlich über eine feine Witterung. Er schien zu spüren, daß
zwischen ihr und Peter etwas nicht gestimmt hatte, aber außer
seinem Instinkt hatte er keinen Anhaltspunkt dafür und konnte
nicht einhaken.
»Sagt Ihnen der Name Camille Raymond etwas?«
»Nein. Wer ist das?«
»Haben Sie den Namen Bernadette Raymond schon einmal
gehört?«
»Nein. Auch nicht.«
»Camille Raymond«, sagte der Kommissar, »ist eine ... war eine Pariserin, die ein Ferienhaus in St. Cyr besaß, das sie
regelmäßig aufsuchte. Bernadette war ihre vierjährige Tochter.
Die Putzfrau von Madame Raymond – eine Monique Lafond
aus La Madrague, aber der Name ist Ihnen wohl auch nicht
bekannt? – hat beide Anfang der Woche in eben jenem
Ferienhaus gefunden. Tot, erdrosselt mit jeweils einem kurzen
Seil. Die Tat selbst hat allerdings wohl schon Ende September
stattgefunden.«
»Mit einem Seil erdrosselt? Aber das klingt wie ...«
Er nickte. »Das klingt wie das, was mit Ihrem Mann passiert
ist. Die entsprechenden Untersuchungen sind noch nicht
abgeschlossen, aber wir vermuten stark, daß es sich bei den
Tatwerkzeugen um die abgeschnittenen Teile ein und
desselben langen Seils handelt. Monsieur Simon wurde
zusätzlich mit einem Messer schwer verletzt, wobei aber
eindeutig das Erdrosseln die Todesursache ist. Im Falle von
Madame Raymond hat der Mörder ihr Nachthemd mit einem
Messer in Fetzen geschnitten. Das Messer stellt eine weitere
Parallele dar. Möglicherweise wurde Monsieur Simon heftiger
angegriffen, weil er sich stärker gewehrt hat. Es war sicher
schwerer, ihn zu töten, als eine Frau oder gar ein vierjähriges
Kind. Ich bin überzeugt, es handelt sich um denselben Täter.
Das heißt, die Wege der Opfer haben sich an irgendeiner Stelle
gekreuzt.«
Die Gedanken jagten wild in ihrem Kopf, aber noch immer
war da diese Watteglocke um sie herum, und es gelang ihr nur
langsam, Ordnung in ihr Denken zu bringen.
Schließlich meinte sie: »Aber der Täter könnte seine Opfer
doch zufällig ...«
»... zufällig auswählen?« Der Kommissar schüttelte den
Kopf. »Im Laufe meiner langjährigen Tätigkeit habe ich
gelernt, daß es sehr, sehr wenige Zufälle gibt. Falls wir es mit
einem Verrückten zu tun haben, der alleinstehende Frauen mit
Kindern in einsam gelegenen Ferienhäusern überfällt und
erdrosselt, dann paßt ein deutscher Geschäftsmann, den er vor
einem Restaurant abfängt und verschleppt, nicht in das Bild.
Auch der perverseste Täter hat ein Muster, das seinem Handeln
zugrunde liegt. Er folgt einer Logik, die für ihn zugleich
Rechtfertigung seines Tuns ist.
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