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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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wäre es, wenn du in
der Zwischenzeit ein schönes heißes Bad nimmst?«
»Eine heiße Dusche tut’s auch«, meinte sie und ging ins
Badezimmer.
Sie sah verheerend aus, wie sie feststellte. Die Haare fettig
und struppig, das Gesicht verquollen, die Haut fahl und um die
Nase herum schuppig. Ihre Kleidung war fleckig und
zerdrückt. Sie wirkte krank, elend und verhärmt. Sie
betrachtete ihr Spiegelbild, sah, was Peter mit seiner
Verlogenheit und Treulosigkeit innerhalb weniger Tage aus ihr
gemacht hatte, und dachte voller Wut, daß es an ihr lag, ob sie
es weiterhin zuließ oder nicht. Sie brauchte alle ihre Kräfte, in
erster Linie, um einen Weg aus dem Dickicht des finanziellen
Desasters zu finden, aber auch, um für sich und ihre kleine
Tochter ein neues Leben zu organisieren. Sie hatte keine Zeit,
um Peter zu trauern, weder wegen seines Todes noch wegen
der Tatsache, daß er sie jahrelang betrogen hatte.
Aber so gern sie stark sein wollte und tapfer, sie spürte doch,
daß sie ihrer Traurigkeit nicht einfach würde befehlen können,
sie in Ruhe zu lassen. Sie würde bei ihr bleiben, auf eine leise,
unbestimmte Art vielleicht ihr Leben lang. Teilweise würde
man es an dem Verlust ihrer Unbefangenheit merken. Sie war
zu grausam getäuscht worden. Die Frau mit dem heiteren
Urvertrauen in sich und in ihr Leben konnte sie nie wieder sein.
Sie duschte lange und ausgiebig, verbrauchte viel heißes
Wasser, Duschgel und Shampoo. Als sie fertig war, tuschte sie
ihre Wimpern und zog die Lippen nach, fönte die Haare und
verteilte eine zart getönte Creme übers Gesicht. Endlich zog sie
frische Unterwäsche an, saubere Jeans, einen weichen Pullover.
Sie sah besser aus und fühlte sich auch so.
»Und jetzt habe ich Hunger«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild.
Als sie das Bad verließ, roch es schon überall nach dem
köstlichen Essen, das Christopher vorbereitete. Er stand in der
Küche am Herd, wandte ihr den Rücken zu. Er schnippelte
Tomaten und Zucchinis in eine Pfanne, in der bereits
Knoblauch briet und seinen appetitanregenden Duft verströmte.
Neben sich hatte er ein Glas mit Rotwein stehen. Aus dem
Radio im Regal klang leise Musik.
Trauer stieg in ihr auf. Wie oft hatten sie und Peter in dieser
Küche gekocht, mit Musik und Rotwein, so heiter und verliebt
und so voller Frieden.
Und so verlogen, dachte sie.
»Hallo, Christopher«, sagte sie schließlich.
»Ich habe eine Flasche Rotwein aus dem Keller geholt«,
sagte er. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen.«
Dann wandte er sich zu ihr um und lächelte.
»Eine neue Frau«, meinte er.
»Kennst du eine Camille Raymond?« fragte sie.
3
    Monique Lafond dachte, es sei besser gewesen, zur Arbeit zu
gehen und sich abzulenken, anstatt sich krank schreiben zu
lassen, daheim herumzuhängen und den furchtbaren Bildern
ausgeliefert zu sein, die ihr ihr Gedächtnis mit unbarmherziger
Präzision wieder und wieder vorspielte.
    Sie sah Madame Raymond und ihre kleine Tochter vor sich,
beide tot, Madame noch dazu so entstellt durch die
hervorquellenden Augen und die herausstehende Zunge. Sie
roch die Verwesung und meinte, wieder schreien zu müssen, so
laut sie nur konnte.
    Sie hatte an jenem fürchterlichen 8. Oktober nicht die Polizei
gerufen, sondern war, nachdem sie sich heiser geschrien hatte,
losgerannt, war ein paarmal hingefallen, weil ihre Beine immer
wieder nachgaben. Sie trug aufgeschlagene Knie und blaue
Flecken davon und merkte es nicht. Sie hatte keine Ahnung,
wohin sie lief, erkannte erst, daß sie bei Isabelle Rosier
gelandet war, als sie vor deren Haustür stand und mit den
Fäusten dagegenhämmerte. Wahrscheinlich war sie instinktiv
hierher gelaufen, weil sie bei Isabelle ebenfalls putzte und den
Weg zwischen deren und Madame Raymonds Haus zu anderen
Zeiten oft gegangen war.
    Bei Isabelle war sie auch in der vergangenen Woche
zweimal zum Putzen gewesen, trotz der Krankschreibung. In
ihrer Wohnung hatte sie es nicht mehr ausgehalten. Der Block,
in dem sie lebte, lag zu nah am Meer; zwar hatte sie einen
schönen Blick auf das Wasser, aber die Feuchtigkeit machte ihr
zu schaffen, besonders jetzt im Herbst, und im Winter war es
noch schlimmer. Schon jetzt kam ihr die Bettwäsche klamm
vor. Das hatte Monique schon immer gestört, aber noch nie so
sehr wie in diesem Jahr. Überhaupt störte sie alles an ihrem
Leben viel mehr als früher, vor dem furchtbaren Ereignis. Sie
mochte die Côte de Provence nicht mehr – im

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