Die Taeuschung
sicher, man würde sie verurteilen.«
»Dann bleibt mir nur die Hoffnung, daß Isabelle etwas
weiß«, meinte Jeanne, doch sie klang alles andere als
hoffnungsvoll. »Ich werde sie morgen abend aufsuchen. Aber
ich fürchte, Camille hat die Angelegenheit vor ihr genauso
geheimgehalten wie vor Ihnen.«
»Das nehme ich allerdings auch an. Isabelle ist eine
ungeheure Klatschtante. Hätte Camille ihr etwas erzählt, hätte
ich es bestimmt erfahren – und ein Dutzend anderer Leute
ebenfalls. Isabelle hat noch nie etwas für sich behalten.«
»Also werde ich unverrichteter Dinge wieder nach Paris
fahren müssen. Und kann mich für den Rest meines Lebens mit
der Frage herumschlagen, ob ich schuld bin am Tod einer
jungen Frau und ihrer kleinen Tochter.«
Sie tat Monique leid. Sie sah sehr blaß und sorgenvoll aus.
Und war doch nur in einem kurzen Moment ihres Lebens
einfach ein wenig zu neugierig gewesen.
»Warum rufen Sie ihn nicht an?« fragte sie plötzlich.
Jeanne, die in sich zusammengesunken war, richtete sich auf
und runzelte die Stirn. »Wen?«
»Na, diesen großen Unbekannten. Madame Raymonds
Liebhaber – oder was immer er war. Sie haben doch seine
Handy-Nummer.«
»Aber ich kann doch nicht einfach anrufen!«
»Weshalb nicht? Diese Nummer ist schließlich der einzige
Anhaltspunkt, den Sie haben.«
»Vielleicht sollte ich mit der Nummer eher zur Polizei
gehen.«
»Das wäre bestimmt das Beste.«
»Aber dann muß ich dort auch erzählen, daß ...«
»Daß Sie ein bißchen geschnüffelt haben? Jeanne, dafür wird
Sie niemand verurteilen, es interessiert auch im Grunde keinen.
Man wird einfach froh sein, daß Sie einen wichtigen Hinweis
liefern.«
Jeanne nahm endlich einen Schluck von ihrem Saft.
»Mir ist das sehr unangenehm. O Gott, hätte ich doch nie
dieses Band abgehört!«
»Aber dann wäre auch nichts anderes passiert«, sagte
Monique sachlich. »Wenn tatsächlich der Mann auf dem
Anrufbeantworter etwas mit Camilles Tod zu tun hat, und
wenn seine Tat damit zusammenhängt, daß sie sich nicht bei
ihm gemeldet hat, dann wäre dies genauso der Fall gewesen,
wenn Sie das Band gar nicht erst abgehört hätten. Er hat sich
einfach zu spät bei ihr gemeldet. Sie war schon weg. Und dafür
können Sie überhaupt nichts.«
Dieser Gesichtspunkt war offensichtlich neu für Jeanne, und
er schien sie ein wenig zu trösten. Sie wirkte gefaßter als
zuvor.
»Na ja ...«, meinte sie vage und machte Anstalten, sich zu
erheben.
Monique griff nach dem Hörer ihres Telefons, das neben ihr
stand.
»Kommen Sie«, sagte sie, »wir versuchen es einfach. Ich
rufe ihn jetzt an. Dann wissen wir beide mehr.«
»Und wenn er gefährlich ist?«
»Ganz ehrlich gesagt, ich glaube nicht, daß er etwas mit all
dem zu tun hat. Er ist vielleicht ein bißchen unsympathisch und
zudringlich, aber deshalb muß er noch lange kein wahnsinniger
Killer sein. Können Sie mir die Nummer diktieren?«
Jeanne holte einen sorgsam zusammengefalteten Zettel aus
ihrer dunkelblauen Hermes-Handtasche. Sie schien erleichtert,
daß jemand die Dinge nun in die Hand nahm.
Monique wählte die Nummer. Es klingelte eine lange Zeit,
dann schaltete sich die Mailbox ein. Ein Name wurde nicht
genannt, es kam der neutrale Ansagetext des Serviceanbieters.
Als er endete, erklärte Monique unbefangen ihr Anliegen.
»Hallo, mein Name ist Monique Lafond. Aus La Madrague.
Ich bin eine Bekannte von Camille Raymond. Es gibt da ein
paar Dinge, die ich gern mit Ihnen besprechen würde. Könnten
Sie sich bitte bei mir melden?« Sie nannte ihre Nummer und
legte dann auf.
»So«, sagte sie zufrieden, »nun werden wir ja sehen, was
passiert. Ich bin sicher, er ruft an. Und vielleicht sind Sie ja
dann eine Sorge los, Jeanne.«
Jeanne erhob sich nun endgültig. Sie hatte den Zettel wieder
eingesteckt und sah wesentlich entspannter aus als noch vor
einer halben Stunde.
»Ich werde auf jeden Fall versuchen, morgen abend mit
Isabelle zu sprechen«, sagte sie, »bis mindestens Sonntag früh
bin ich also noch da. Ich wohne im Hotel Berard in La Cadiére.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich informieren
würden, falls er«, sie machte eine Handbewegung zum
Telefonapparat hin, »sich meldet.«
»Selbstverständlich«, sagte Monique, »ich rufe Sie an oder
komme selbst vorbei. Und Sie überlegen sich bitte noch
einmal, ob Sie nicht doch zur Polizei gehen wollen. Es wäre
das Vernünftigste, und sicher auch das, was man jetzt von
Ihnen
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