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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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offenbar noch einen zweiten Satz Informationen auf der Disk gebe, worauf sie erwiderte, das wisse sie nicht, es überrasche sie jedoch nicht. Dass ihr Mann die Daten allem Anschein nach verschlüsselt hatte, überraschte sie ebenso wenig. In letzter Zeit hatte er offenbar viele Aufträge für einen Privatkunden erledigt, und obwohl er seine Frau über deren Natur im Dunkeln gelassen hatte, war ihr nicht entgangen, dass er ein astronomisch hohes Honorar dafür bekam. Für jemanden, der in seinem normalen Job schon so viel verdiente, dass er sich ein Penthouse auf der Central Park West, eine hundert Jahre alte Villa in L. A. und eins der wenigen Strandhäuser in den Hamptons, die von den Hurrikanen von ’05 verschont geblieben waren, leisten konnte, bedeutete »astronomisch« offenbar eine ganze Menge; doch obwohl meine Neugier geweckt war, konnte Mrs. Price mir nicht mehr darüber sagen. Darum verließ ich die Trauernde und ihre Tochter, nachdem ich ein Honorar versprochen bekommen hatte, das nach meinen eigenen bescheidenen Maßstäben ebenfalls verdammt astronomisch war.
    Kaum stand ich wieder auf der Straße, legte Max mir einen seiner dicken Arme um den Hals und drückte eindringlich zu. »Machen wir, dass wir wegkommen«, sagte er mit einem Blick zum Türsteher des Gebäudes und dann zur dunklen, weiten Fläche des Central Park auf der anderen Straßenseite.
    »Warum?«, fragte ich stolpernd, während er mich zu einem freien Taxi ein Stück weiter unten am Block zerrte.
    Er machte die Tür auf und stieß mich hinein. »Weil du mich da in einen ganz schön bizarren Mist reingezogen hast, Wolfe«, antwortete er. Dann stieg er neben mir ein und wies den indonesischen Fahrer an, uns zu seinem Büro zurückzubringen.
    Auf dem Weg nach Downtown weigerte Max sich ostentativ, über etwas anderes zu reden als darüber, wo wir uns an diesem Abend etwas zu essen holen könnten, was unseren mürrisch dreinschauenden Fahrer veranlasste, die Vorzüge seiner heimatlichen Küche zu preisen. Diese unerbetenen Kommentare mündeten unausweichlich in eine Schimpfkanonade über die Ungerechtigkeit, dass sein nach dem Zusammenbruch von ’07 vollständig in Anarchie und Gewalt versunkenes Land ein Protektorat der Vereinten Nationen geworden war. Max erklärte ihm, er solle verdammt noch mal die Klappe halten und fahren, was den verbitterten kleinen Mann dazu brachte, Lenkrad und Bremsen auf eine Weise zu betätigen, die zweifellos darauf abzielte, dass uns schlecht wurde. Alles in allem war ich verwirrt, von Übelkeit geplagt und ziemlich verärgert, als wir bei Max’ Haus ankamen; und es verbesserte meine Laune keineswegs, als mein Freund aus dem Wagen sprang, die Tür zuschlug, bevor ich ihm folgen konnte, und sagte: »Das wird ein paar Stunden dauern. Fahr nach Hause, ich ruf dich an.«
    Noch ehe ich protestieren konnte, war er im Haus verschwunden, und ich blieb allein mit dem indonesischen Fanatiker zurück. Ich entschied mich dafür, den Fahrer zu bezahlen und mein Glück in einem anderen Taxi zu versuchen, um nach Tribeca zu kommen. Aber die Welt ist voller Menschen, die einem ihre Sicht der Dinge aufdrängen wollen, und schon seit jeher sind enorm viele von ihnen Taxifahrer in New York City. Darum war meine Reise über die obere Ebene des West Side Superhighway nicht angenehmer als die Herfahrt vom Central Park.
    Ich dachte noch immer über all diese Eiferer nach, als ich in mein Loft zurückkam. Um die Zeit bis zu Max’ Anruf zu überbrücken, schaltete ich meinen Computer ein und druckte den ersten Teil der Spätausgabe der New York Times aus. Dann ließ ich mich mit einer Flasche litauischem Wodka auf meinem Sofa nieder und fing an, die Zeitung durchzublättern. Die Erlebnisse des Tages und Abends bewirkten, dass ich die Artikel darin nicht mehr in dem üblichen gutgläubigen Licht sah. Auf einmal kam es mir so vor, als wäre keine Information absolut zuverlässig, und ich musste an Thomas Jeffersons Mahnung denken, dass ein Bürger nur dann wahrhaft informiert sein kann, wenn er den Zeitungen keine Beachtung schenkt. Die Times berichtete in erster Linie detailliert über ein halbes Dutzend Krisenherde in aller Welt, wo die Vereinigten Staaten entweder diplomatisch oder militärisch involviert waren; und es zeichnete sich immer mehr ab, dass Afghanistan wegen der Khaldun-Sache bald ebenfalls auf der Liste stehen würde. Ich ertappte mich bei der Überlegung, ob es auch über all diese anderen Krisen Computerdisks mit

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