Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein
nähert sich ihrem Ende, alles liegt unter hohem Schnee, sieht der Riese in seinem Garten einen Baum, der voller Blüten ist. Darunter steht der kleine Junge. Der Riese rennt voll Freude hinab – und voll Entsetzen erkennt er, dass Hände und Füße des Kindes die Wundmale von Nägeln tragen. »Wer hat es gewagt, dich zu verletzen, auf dass ich mein großes Schwert nehme und ihn erschlage«, ruft der Riese. »Nein!«, antwortet das Kind, »denn dies sind die Wunden der Liebe.« Dann sagt das Kind noch, dass der Riese es einst in dessen Garten spielen ließ und dass es ihn nun in seinen eigenen Garten mitnehmen werde, »der das Paradies ist«. Die Kinder finden den Riesen später tot unter dem Baum liegen.
Das war die Geschichte vom selbstsüchtigen Riesen, dem sein kostbarster Besitz genommen wurde, weil er ihn nicht teilen will – sein Garten –, und der durch die Liebe von der Sünde des Eigennutzes erlöst wird. Man kann das als halbwegs normaler Mensch ja gar nicht lesen, ohne ganz verwaschene Augen zu bekommen.
Es gibt dazu einen wunderschönen Zeichentrickfilm, den Traudl und Walter Reiner 1962 gemacht haben, in schwarz-weiß, mit Bildern von liebevoller und stiller Schlichtheit. Die Eheleute Reiner, die seinerzeit in Fischbachau im Leitzachtal lebten und arbeiteten und dort ein Trickfilmstudio unterhielten, haben übrigens nicht nur dem selbstsüchtigen Riesen ein Gesicht gegeben, sondern auch dem Grantler Aloisius, der ja zum schönen Oberbayern vielleicht auch besser passt als der Cornische Oger. Ludwig Thoma hat sich den Dienstmann Alois Hingerl ausgedacht, der am Münchner Hauptbahnhof dem Schlag erliegt und über einen kurzen Umweg in den Himmel noch heute als Engel im Hofbräuhaus sitzt, über einer Maß nach der anderen, anstatt der bayerischen Staatsregierung jene göttlichen Ratschläge zu übermitteln, auf die sie bis heute vergeblich wartet.
Aber zurück zum Riesen. Die Mauer, die er da baut, muss offenbar überwunden werden. Sie gehört eigentlich eingerissen. Da sind wir uns alle einig als Leser der Geschichte. Und überhaupt nicht nur dieser Geschichte: alle Mauern gehören eingerissen, weil sie die Menschen trennen. Und die Zäune auch. DON'T FENCE ME IN, heißt es in dem Cole Porter Song.
Oh, give me land, lots of land under starry skies above,
Don’t fence me in.
Let me ride through the wide open country that I love,
Don’t fence me in.
Let me be by myself in the evenin’ breeze,
And listen to the murmur of the cottonwood trees,
Send me off forever but I ask you please,
Don’t fence me in.
Also nieder mit den Mauern und den Zäunen, die uns voneinander fernhalten und uns selbst entfremden. Aber das ist leider Quatsch. Weil die große Kulturleistung des Menschen darin besteht, einen Zaun zu errichten, eine Grenze zu ziehen, drinnen und draußen voneinander zu trennen. Um die Hütte, die Höhle, was auch immer. Diesseits ist mein, ist Schutz, Ordnung, Schönheit. Jenseits ist der Rest, draußen, die anderen, die Unordnung, der Feind, das Chaos. Drinnen gilt das Prinzip Verantwortung. Nach draußen gilt das Prinzip Abwehr. Ein Garten ist ohne Grenze nicht denkbar. Als der Mensch sesshaft wurde, hat er als erstes einen Garten angelegt. Und als er das tat, hat er eine Grenze gezogen. Daran sollte man denken, wenn man sich über Jägerzaun und Maschendrahtzaun lustig macht.
Der Zaun bedeutet Kultur. Er grenzt eine Fläche ab und schafft einen Raum der Verantwortung, der Gestaltung. Einen Raum der Ordnung. »Die Menschheit stammt aus einem Garten«, hat Rudolf Borchardt geschrieben. Und sie versucht, sich die Welt wieder zu dem Garten zu machen, aus dem sie einst vertrieben wurde. Und die Natur bietet sich dafür an. Sie will sich unterwerfen. »Was aber die Liebe giebt und der Geist, das lässt sich nicht erzwingen«, sagt Hölderlin. Für die Natur gilt das nicht: Sie lässt sich züchten, binden, schneiden. Es war der schlimme Irrtum der frühen Erziehungswissenschaft, zwischen Mensch und Natur eine Analogie herzustellen und das Kind für ein Stück Natur zu halten, das man darum ebenso in jede gewünschte Form zwingen könne, wie man es mit dem Spalierobst oder der Rebe macht. Aber der Mensch gehört in diesem Sinne nicht mehr zur Natur. Darum hat Gott auch zu ihm gesagt: »Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier,
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