Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein
Es ist ein Zeichen des menschlichen Fortschritts, die Natur schön zu finden. Wenn man in der Ebene des Vaucluse sein hartes Brot verdient, kommt man nicht auf die Idee, den Mont Ventoux zu besteigen. Das fällt erst einem Mann wie Petrarca ein, dem Intellektuellen, der in den großen Städten gelebt hat, in Florenz und Avignon – der dann allerdings, oben angekommen, nichts Besseres zu tun hat, als sich für seine Natur-Ergriffenheit zu schämen und aus lauter schlechtem Gewissen Augustinus zu lesen. Viel später hat Paul Cézanne mit Blick auf die provenzalischen Bauern geschrieben, wie unterschiedlich sich das Äußere der Welt den Menschen darstellt, je nachdem wie ihr Verhältnis dazu gestaltet ist: »Bei den Landleuten habe ich zuweilen gezweifelt, ob sie wissen, was eine Landschaft ist, was ein Baum ist … Ich bin manchmal spazierengegangen, ich habe einen Bauern hinter seinem Karren begleitet, der Kartoffeln auf dem Markt verkaufen fuhr. Er hatte den Sainte-Victoire niemals wirklich gesehen. Sie wissen, was hier und dort am Weg entlang gesät ist und wie morgen das Wetter sein wird …, aber dass die Bäume grün sind, und dass dieses Grün ein Baum ist, dass diese Erde rot ist, und dass dieses rote Geröll Hügel sind, ich glaube wirklich, dass die meisten es nicht fühlen, dass sie es nicht wissen, außerhalb ihres Gefühls für das Nützliche.«
Wir erfinden also die Natur, wir erfinden die Landschaft. Ohne uns gäbe es all das nicht. Da wäre der Wald und eine Ebene und ein Berg und ein Fluss. Aber das hätte keinen Zusammenhang. Es wäre alles einfach da. Aber es wäre da keine Landschaft und es wäre nicht schön. Wir haben Bilder im Kopf und formen die Landschaft nach ihnen, die reale und die imaginäre. Nicht nur, was wir schaffen, auch das, was wir sehen, hängt davon ab, was wir sehen wollen.
Der Dramatiker Fritz Kater, der im echten Leben Armin Petras heißt und ein Regisseur und Theater-Chef ist, hat ein Stück geschrieben, WE ARE BLOOD , das von der Natur handelt und von der Natur des Menschen, von den Verletzungen, den inneren und äußeren, und ob sie heilbar seien. Nach der Premiere des Stückes im Berliner Gorki-Theater fand ein öffentliches Gespräch statt, zu dem zwei Experten geladen waren. Ein Biologe und ein Psychiater. Das schien sinnvoll, da sich beide Männer mit Versuchen der Heilung befassen. Der Biologe hatte an der Elbe den Verlauf eines Deiches verändert und dem Wasser mehr Raum gegeben. Der Psychiater war im Osten Berlins mit Kindern und Jugendlichen befasst und arbeitete an ihren deformierten Seelen.
Das war ungewöhnlich spannend: zwei Fachleute, die es, jeder für sich auf seinem Gebiet, mit aus dem Lot geratenen Systemen zu tun haben und die dort Ordnung bringen wollen. Aber die Ordnung soll eine natürliche sein. Es geht beiden um die Wiederherstellung von Natur, an der Elbe ebenso wie in der Seele. Sie haben beide ein Bild dieser Natur im Kopf, ein Vorbild, nach dem sie tätig werden. Der Biologe träumt von Auwäldern, wo Flatterulmen, Schwarzerlen und Bruchweiden ein kaum zu durchdringendes Dickicht ergeben. Der Psychiater wünscht sich lebensfrohe Kinder, in deren Köpfen Überzeugungen und Gefühle und Hoffnungen zu neuen Taten reifen. Aber beide wissen um die Hürden und Grenzen ihres Tuns: »Es ist Natur aus zweiter Hand, was wir hier machen«, sagt der Biologe. »Wir sind hier ein Reparaturbetrieb«, sagt der Psychiater.
Es gibt nämlich in Deutschland schon lange keine Auwälder mehr, wie sie dem Biologen vorschweben. Generationen von Ingenieuren haben Donau, Rhein und Elbe in immer engere Betten gezwängt, so dass die Flüsse, die sie einst waren, zu dem wurden, was im Behördendeutsch ganz richtig Wasserstraße heißt. Der Wasserbauer Johann Gottfried Tulla, der 1828 starb und nach seinem Tode hoch geehrt wurde, hat da Bahnbrechendes geleistet. Der Rhein war danach nicht mehr derselbe, die Lachse waren verschwunden und das Rheingold auch. »Tulla war der große Verbrecher am Rhein«, sagt der Biologe, der heute die Wasserbaukunst anwendet für das, was man »Renaturierung« nennt.
Und die Erlebnis- und Empfindungsarmut der Jugendlichen in den sozial benachteiligten Vierteln ist ein lange bekanntes Phänomen, ebenso der Umstand, dass die Verschreibung von Ritalin in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Natürlich sei die Vernachlässigung ein Problem und das Fernsehen, sagt der Psychiater. Er kommt aus Dresden und da gab es früher zwei
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