Die Tallinn-Verschwörung - Thriller
dein Chef?«
Lodovico ging nicht auf diese Anspielung ein, sondern wies auf das graue Band der Straße. »An deiner Stelle würde ich vorerst die Finger von ihr lassen. Hier kommen zu viele Autos vorbei. Es braucht nur einer etwas zu sehen, und dann haben wir die Carabinieri am Hals. Don Batista würde sich freuen, unsere Gesichter in den Abendnachrichten zu sehen und dabei zu hören, dass wir die Nichte eines Kardinals entführt hätten.«
»Alter Spielverderber!« Gianni knurrte ärgerlich, drehte sich aber noch einmal zu Graziella um und kniff ihr zwischen die Beine.
»Du wirst noch etwas warten müssen, meine Liebe. Aber sobald wir an unserem Ziel angelangt sind, werde ich mich mit dir beschäftigen. Du brauchst keine Angst zu haben, dass du nicht auf deine Kosten kommst. Bisher hat sich noch keine beschwert.«
»Du gehörst wohl auch zu denen, die nur mit ihrem Schwanz denken!« Lodovico gab Gianni einen Stoß und forderte ihn auf weiterzufahren.
Um ihn zu ärgern, schaltete Gianni das Autoradio an und stellte es so laut, dass der Innenraum vibrierte. Während er aus voller Kehle mitsang, nutzte Graziella die Geräuschkulisse, um an ihren Fesseln zu arbeiten. Sie hatte das Klebeband um ihre Handgelenke bereits gelockert und hoffte, es ganz loszuwerden. Es kostete sie einige Fetzen Haut, und sie musste sich auf die Lippen beißen, um nicht vor Schmerz zu stöhnen, doch dann waren ihre Arme frei. Ein Blick nach vorne zeigte ihr, dass ihre beiden Entführer sich im Moment nicht um sie kümmerten. Rasch beugte sie sich nieder und löste die Fesseln um ihre Knöchel. Als es geschehen war, atmete sie tief durch und wartete auf eine günstige Gelegenheit, aus dem Auto springen zu können. Nach einer Weile erreichten sie die Autobahn, und Gianni drückte aufs Tempo. So um die hundert Kilometer ging es auch gut, doch dann staute sich der Verkehr, und Gianni musste die Geschwindigkeit verringern. Graziella spähte kurz nach vorne und sagte sich, dass sie nur den nächsten Wagen erreichen musste, um Hilfe zu erhalten. Sie wartete, bis das Auto fast stand, und schnappte nach dem Türgriff. Doch als sie daran zerrte, tat sich nichts.
»So eine Kindersicherung ist schon etwas Feines, meinst du nicht auch, Gianni?« Lodovicos Stimme klang amüsiert, und Graziella begriff, dass er sie im Rückspiegel beobachtet hatte. Wütend trommelte sie mit ihren Fäusten gegen den Vordersitz und brach in Tränen aus.
»Ihr elenden Schufte, euch sollte man in ein rattenverseuchtes Loch sperren und die Schlüssel wegwerfen!«
Während Lodovico sich zu amüsieren schien, fuhr Gianni wie von der Tarantel gestochen herum. »Was ist los?« Dann sah er, dass Graziella ihre Fesseln abgestreift hatte, und fluchte.
»So ein Miststück! Na warte, dir werde ich es zeigen.« Er
wollte aussteigen, um nach hinten zu gehen, doch da hielt der Archivar ihn auf.
»Idiot! Wenn du das tust, tritt sie dir in die Eier und ist schneller weg, als du schreien kannst.«
»Was willst du sonst tun?«, fragte Gianni ärgerlich.
»Du wirst jetzt dort vorne die Abzweigung nehmen, damit wir die anderen Autos loswerden. Sobald wir an eine geeignete Stelle kommen, greifst du nach hinten und hältst sie fest. Ich komme dann von außen und fessle sie wieder.«
»Dann kannst auch du sie festhalten und ich komme von außen«, schlug Gianni vor.
Lodovico schüttelte freundlich lächelnd den Kopf. »Du willst sie ja doch nur durchziehen. Aber dafür haben wir jetzt keine Zeit.«
Während Gianni von der Straße abbog und nach ein paar hundert Metern den Wagen anhielt, kämpfte Graziella mit den Tränen. Sie hatte noch versucht, die Fahrer der anderen Autos auf sich aufmerksam zu machen, aber durch die getönten Seitenfenster und das Heckfenster hindurch hatten diese ihr verzweifeltes Winken als Gruß angesehen und zurückgewinkt.
Als Gianni zu ihr nach hinten griff, versuchte sie sich so klein wie möglich zu machen. Sie hatte jedoch keine Chance, den beiden Männern zu entkommen. Kaum hatte Gianni sie gepackt, öffnete Lodovico die hintere Tür, und kurz darauf lag sie zu einem Paket verschnürt unter einer Decke. Diesmal saßen die Fesseln so straff, dass sie den Blutfluss unterbrachen und ihre Hände und Füße zu kribbeln begannen. Lodovico stopfte ihr wieder einen Knebel in den Mund und sah sie dann grinsend an.
»Du bist ein mutiges Mädchen, Graziella. Schade, dass du nicht zu uns gehörst.«
ZEHN
G ianni fuhr mit fast traumwandlerischer Sicherheit über
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