Die Tatarin
auch er sich um Sergej sorgte, warf er sich ebenfalls den Wintermantel über, nahm eine Laterne vom Haken und zündete sie an. »Ich begleite dich.«
Kurz darauf stapften sie durch den dicht fallenden, im Licht der Laterne wie kleine, silberne Sterne blinkenden Schnee. Es dauerte eine Weile, bis sie Sergej gefunden hatten. Er war so betrunken, dass er seinen warmen Mantel vergessen hatte und nur mit seiner Uniform bekleidet ziellos durch den Schnee torkelte. Als sie ihn erreichten, war er kaum mehr ansprechbar. Der Wachtmeister jammerte und schimpfte gleichzeitig, zog dem Hauptmann aber den eigenen Mantel über, und da Sergej nicht mehr in der Lage war, sich auf den Beinen zu halten, packten Wanja und Schirin ihn und trugen ihn nach Hause.
Im heimatlichen Stall angekommen, deutete Wanja mit einem abgrundtiefen Seufzer auf seinen Hauptmann. »Hilf mir, Bahadur, ihn auszuziehen und mit Schnee abzureiben. Sonst wird er Erfrierungenzurückbehalten, so dass man ihm Finger, Zehen oder gar einen ganzen Fuß abnehmen muss!«
Schirin half Wanja sofort, Sergej aus seiner Uniform zu schälen, und als dieser nackt vor ihnen lag, musste sie wieder an die fette Hure denken und wünschte insgeheim, dass ihm das verschrumpelt aussehende Ding zwischen seinen Beinen abfrieren möge. Doch gerade diese Stelle war, wie sie hinter Wanjas Rücken mit einem vorwitzigen Griff feststellte, im Gegensatz zu Händen und Füßen noch warm.
Der Wachtmeister hatte inzwischen einen großen Eimer voll Schnee hereingebracht und zeigte Bahadur, wie sie den Hauptmann damit behandeln mussten. Trotz ihrer Müdigkeit rieb und massierte Schirin Sergejs Arme und Beine, bis sie ihre Hände kaum noch spürte, und es dauerte bis zur Morgendämmerung, bis seine blau angelaufenen Zehen und Finger wieder ihre normale Farbe annahmen. Trotz seiner trunkenen Bewusstlosigkeit wimmerte er, als der Blutkreislauf wieder in Gang kam und in seinen Gliedern kribbelte. Während Schirin ihre ganze Wut über ihn auf ihre Arme übertrug und ihn heftig mit Schnee bearbeitete, streifte ihr Blick immer wieder sein Glied, und sie fragte sich, wie es wohl ausgesehen haben mochte, als er damit in den Körper der Hure eindrang. Sie schämte sich dieses Gedankens, lächelte aber gleichzeitig grimmig, als sie sich vorstellte, dass er es vielleicht gar nicht geschafft hatte, weil sein Degen – wie Marion es genannt hatte – nicht die nötige Härte erreicht haben mochte.
VI.
Als Schirin sich nach viel zu kurzem Schlaf von ihrem Lager erhob, hatte Wanja bereits Tee gekocht. Sie ließ sich einen Becher reichen, trank durstig und bemerkte erst nach etlichen Schlucken, dass er das Getränk mit einem kräftigen Schuss Wodka versetzt hatte. Sie holte aus, um ihn den Becher an den Kopf zu werfen, senkte ihn aber wieder, als sie den bettelnden Ausdruck in seinen Augen sah. »Tu das nie wieder!«
»Aber Söhnchen! Ohne Wodka hat der Tee keine Kraft. Russland ist ein kaltes Land, und ohne das Wässerchen würde uns das Blut in den Adern gefrieren.«
»Ich glaube eher, dass er euch das Blut über alle Maßen erhitzt!«, spottete sie mit einem Seitenblick auf Sergej. Der Hauptmann lag wie erstarrt auf einem Strohsack, und nur die leichten Schnarchgeräusche verrieten, dass er noch lebte.
Wanja bedachte Sergej mit einem missbilligenden Blick und schüttelte den Kopf. »Väterchen Sergej Wassiljewitsch hat es gestern schwer erwischt. So kenne ich ihn gar nicht, sonst trinkt er eher ein Glas zu wenig als zu viel.«
»So kann man sich irren!«, spottete Schirin.
»Ausgerechnet heute müsste er munter sein wie ein Füllen in der Frühjahrssonne, denn in einer Stunde soll er seinen Dienst in der Festung antreten. Was wird Väterchen Apraxin sagen, wenn er nicht erscheint?« Wanja seufzte und blickte zum Himmel auf, als hoffe er auf eine göttliche Eingebung.
Schirin warf noch einen skeptischen Blick auf Sergej und traf ihre Entscheidung. »Ich werde anstelle des Hauptmanns gehen und erklären, dass er krank ist.«
»Das geht nicht! Du kannst doch nicht in deinem tatarischen Putzdort auftauchen.« Wanja stutzte, schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und lachte auf. »Ich habe ganz vergessen, dass der Schneider gestern Abend deine erste Uniform gebracht hat. Als Fähnrich der Rijasanski-Dragoner kannst du dich natürlich in der Festung sehen lassen.«
Er holte ein in Sacktuch gehülltes Paket aus der Ecke und zog einen graugrünen Uniformrock daraus hervor. »Sergej Wassiljewitsch
Weitere Kostenlose Bücher