Die Tatarin
hat diese Farben gewählt, weil er hofft, dass wir doch irgendwann wieder zu unserem Regiment zurückkehren können.« Er sagte es so, als hätte Bahadur schon früher in diesem Regiment gedient.
Schirin betrachtete stirnrunzelnd das Tuch, das sie endgültig in einen Soldaten des Zaren verwandeln würde, und kämpfte gegen den Zwang an, schallend zu lachen. Was würden der Zar und Sergej für Gesichter machten, wenn sie entdeckten, wen sie da in die Schar ihrer Krieger aufgenommen hatten? Sie schlüpfte aus ihrer Oberbekleidung und versuchte, das seltsame Gewand anzuziehen. Allein kam sie jedoch nicht damit zurecht und musste sich von Wanja helfen lassen. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, als seine Hände einigen verräterischen Stellen ihres Körpers arg nahe kamen, aber er schöpfte keinen Verdacht. Während er zurücktrat, um das Werk zu betrachten, zupfte Schirin unglücklich an Hose, Weste und Rock herum. Obwohl die Uniform weit genug geschnitten war, um sie nicht zu verraten, fühlte sie sich darin eingezwängt, und sie bezweifelte, dass sie sich in dem Ding bewegen oder gar kämpfen konnte.
»Passt wie angegossen! Ich glaube nicht, dass es in der Armee des Zaren einen schmuckeren Fähnrich gibt als dich, Söhnchen. Hier ist der Dreispitz.« Wanja reichte Schirin den in ihren Augen lächerlichen Hut. Er bedeckte gerade die Schädeldecke und überließ Ohren, Stirn und Nacken dem Angriff von Kälte und Wind.
Sie tastete das Ding zweifelnd ab. »So etwas soll man bei dem Wetter draußen tragen?«
»Im Freien ziehst du freilich den warmen Mantel und die Pelzmütze an. Da fällt mir ein, ich muss schauen, wo unser VäterchenHauptmann seine Sachen zurückgelassen hat. Es wäre schade, wenn sie verloren gingen.« Wanja warf einen besorgten Blick auf den schnarchenden Sergej.
Schirin lachte unfroh auf. »Du solltest sie im Haus einer gewissen Madame Reveille suchen!«
Wanja hob abwehrend die Hände. »Dort wart ihr? Dieses Bordell ist doch viel zu vornehm und zu teuer für den guten Sergej Wassiljewitsch.«
»Ich weiß nicht, was daran vornehm sein soll, wenn ein paar versoffene Schlampen ihre Beine für jeden Kerl breit machen, der ein paar Rubel dafür bezahlen kann!« Schirin machte aus ihrem Abscheu keinen Hehl und ließ sich auch auf keine Diskussion mit Wanja ein, der wissen wollte, wie es im Haus der Reveille zuging. Stattdessen wies sie auf Ostap, der ebenfalls noch seinen Rausch ausschlief, und funkelte Wanja zornig an. »Du wirst dem Jungen keinen Wodka mehr geben, verstanden?« Dann verließ sie mit energischen Schritten den Stall.
Die Fähre brachte sie zur Festung hinüber, und sie meldete sich bei dem Aufsicht führenden Offizier, der sich mit ihrer Erklärung zufrieden gab. Viel war nicht für sie zu tun. Sie musste in einem bestimmten Abschnitt die Arbeiter überwachen, die trotz der eisigen Kälte Quadersteine heranschleppten, um eine der vier Eckbastionen zu verstärken. Nur wenige trugen Kleidung, die für dieses Wetter geeignet war, und alle arbeiteten mit bloßen, vom Frost krumm gezogenen Händen. Außerdem husteten die meisten so stark, dass sie kaum zum Luftholen kamen.
Sie sprach eine der ausgemergelten Gestalten an. »Ihr seid doch viel zu krank zum Arbeiten!«
Der Mann ließ den Stein, den er schleppte, mit einem Seufzer sinken, und blieb mit gebeugtem Rücken stehen. »Verzeiht, Väterchen, aber wenn wir nicht arbeiten, bekommen wir nichts zu essen und müssen sterben, so wie der arme Iwan heute Nacht. Als wir aufwachten, war er bereits steif gefroren.«
»Steif gefroren! Habt ihr denn kein Feuer, an dem ihr euch wärmen könnt?«, rief Schirin entsetzt.
Der Mann schüttelte traurig den Kopf. »Leider nein, Väterchen. Unsere Quartiere sind nur Löcher in der Erde und lausig kalt. Doch Väterchen Zar hat es so befohlen, und daher wollen wir nicht klagen.« In dem Moment brüllte ihn einer der Vorarbeiter an. Der Mann hob mit sichtlicher Mühe seinen Stein auf und wankte weiter. Schirin fuhr zu dem Schreier herum. »Wie kannst du es wagen, diese armen Leute so zu behandeln? Sie können nicht arbeiten, wenn sie in kalten Löchern hausen müssen und krank werden. Sorge dafür, dass sie bessere Unterkünfte und vor allem die nötige Kleidung bekommen.«
Der vierschrötige Mann, der einen langen, warmen Pelzmantel und ausgepolsterte Fäustlinge trug, kniff die Augenlider zusammen. »Was geht das dich an, du Floh?«, fragte er höhnisch. »Mach, dass du verschwindest! Wir brauchen
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