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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Wanja ihm reichte, mit Todesverachtung hinunter.
    Unterdessen war auch Ostap aufgewacht. Im ersten Augenblick starrte er verwirrt um sich, weil er nicht in seiner gewohnten Hängematte auf dem Unterdeck der Alexej Romanow lag, wurde sich jedoch rasch bewusst, wo er sich befand, und grinste Wanja an.
    »Hast du noch ein Schlückchen Wodka für mich, mein Guter?«
    Wanja wiegte bedauernd den Kopf. »Bahadur hat mir strengstens verboten, dir noch einmal Wodka zu geben.«
    »Bahadur? Ja, wo ist er denn?« Ostaps Blicke wanderten durch den Raum, und er atmete sichtlich auf, als er seinen Freund nirgends entdecken konnte. »Komm, Alterchen, schenk mir ein Gläschen ein. Bahadur kann es ja nicht sehen.«
    Wanja überlegte kurz und kam zu der Überzeugung, dass zu einem richtigen Frühstück auch ein Glas Wodka gehörte. »Also gut, Söhnchen, aber nur ein Schlückchen. Du willst ja sicher nicht, dass Bahadur böse auf mich wird.«
    Ostap lachte hell auf. »Bahadur und böse? Er ist eine Seele von einem Menschen.«
    Sergej lachte kläglich auf. »Täusche dich da ja nicht! Manchmal mustert er dich mit einem Blick, da wünschst du dir, eine Maus zu sein und im nächsten Mauseloch zu verschwinden.«
    »Willst du auch ein Gläschen Wodka?«, fragte Wanja ihn hinterhältig. Sergej schüttelte sich bei diesen Worten und steigerte dabei seine Kopfschmerzen zu einem Stakkato, das ihn vor Pein aufschreien ließ.
    Wanja kicherte leise vor sich hin und machte sich dann daran, ein reichlich verspätetes Frühstück zu bereiten. Als der Duft bratenden Specks durch den Stall zog, würgte es Sergej. Ostap aber schnupperte hungrig, und als er mit gutem Appetit aß, musste Sergej seinen Kopf wegdrehen, denn schon der Anblick des Essens bereitete ihm neue Übelkeit.
    Sein Wachtmeister betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Das macht bestimmt nur dieser elende ausländische Schnaps, den die französische Hure ausschenken ließ. Hättet Ihr guten russischen Wodka getrunken, würde es Euch bei weitem nicht so schlecht gehen, Sergej Wassiljewitsch.«
    Ostap hatte unterdessen aufgegessen und verabschiedete sich. »Ich muss euch jetzt verlassen, denn man erwartet mich an Bord. Sagt Bahadur einen schönen Gruß von mir, wenn er wiederkommt.«
    »Wo steckt der Junge eigentlich?«, wollte Sergej wissen.
    Wanja schenkte ihm einen nachsichtigen Blick. »Er ist an Eurer Stelle zur Peter-und-Pauls-Festung gegangen und steht sich nun die Beine in den Leib, während die Muschiks des Zaren Steine schleppen.«
    »Ich bin ein Versager!« Sergej seufzte tief auf und schämte sich so, dass er das Gesicht in den Händen barg.

VIII.
    Die Tage reihten sich zu Wochen und Monaten, während der russische Winter sich von seiner schönsten Seite zeigte. Es war kalt, aber trocken, und nach den reichlichen Schneefällen Anfang Dezember lag das Land unter einer weißen Decke, die im Licht der selbst zur Mittagszeit kaum über den Horizont aufsteigenden Sonne rötlich glitzerte. Die meisten Arbeiten im Freien mussten eingestellt werden, und das Heer der Zwangsverpflichteten wurde damit beschäftigt, die Innenräume der vielen halbfertigen Häuser und die Kasematten der Festung auszubauen.
    Ebenso wie Sergej und die meisten anderen Offiziere hatte auch Schirin keine weiteren Aufgaben mehr zugeteilt bekommen und beteiligte sich daher an den Vergnügungen, mit denen die jungen Männer der lähmenden Langeweile zu entkommen suchten. Man unternahm Schlittenfahrten in die Umgebung, fuhr auf gebogenen Brettern die Abhänge hinab oder glitt auf scharf geschliffenen Knochenkufen über das Eis der fest zugefrorenen Newa. Abends versammelten sie sich im Palais Raskin, hörten den Liedern zu oder sangen selbst. Es war ein Leben, an das Schirin sich hätte gewöhnen können, wenn nicht jeder Tag in einem Saufgelage geendet wäre. Für die jungen Russen schien es nur zwei Mittel gegen die Kälte zu geben, das eine war Wodka und das zweite noch viel mehr Wodka. Kaum einer von Sergejs Freunden war am Abend noch nüchtern. Er selbst aber hielt sich seit jenem Tag im Palais der Madame Reveille zurück und kehrte höchstens etwas angeheitert, aber kein einziges Mal mehr sturzbetrunken in ihren Wohnstall zurück.
    Weihnachten wurde voller Inbrunst gefeiert, wobei es Schirin gelang, sich auf die Rolle eines Zuschauers zu beschränken, und kurzdanach feierte man das Fest der Heiligen Drei Könige mit Gastmählern und Strömen von Wodka, und während die Zeit voranschritt, schienen die Männer den

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