Die Tatarin
Peter-und-Paul-Festung verbringen. Was der Zar nach dem Sieg mit ihm anstellen wird, kann sich wohl jeder vorstellen. Oder muss ich euch daran erinnern, wie Väterchen Pjotr Alexejewitsch mit diesen verdammten Strelitzen umgesprungen ist?«
Die meisten zuckten zusammen und sahen sich mit bleicher werdenden Gesichtern an, Sergej aber interessierte sich nicht für das, was einmal gewesen war, sondern wartete ungeduldig darauf, welcheBefehle der Gouverneur ihm erteilen wollte. Apraxin starrte düster auf die Karte von Ingermanland und Karelien. Mit einem Mal stieß er die Luft aus, ruckte mit dem Kopf hoch und sah Sergej an, als wolle er bis in sein Herz sehen.
»Auch wenn ich derzeit nicht über Truppen verfüge, die ich den Schweden entgegenschicken kann, darf ich nicht zulassen, dass Lybecker unbehelligt auf Sankt Petersburg zumarschiert. Mir wurde gemeldet, dass die Steppenreiter, die dir unterstellt werden sollen, sich bei Krapiwno aufhalten. Du wirst dich heute noch auf den Weg dorthin machen, das Kommando über diese Kerle übernehmen und mit ihnen nach Karelien vordringen. Setze Lybeckers Soldaten zu, wo du nur kannst. Fange ihre Streifscharen ab, verwüste ihr Nachschubgebiet, vernichte ihre Furagetrupps, überfalle sie in der Nacht – kurz gesagt: Tu alles, was ihren Vormarsch so lange behindern kann, bis Gjorowzews Truppen eingetroffen sind.«
Sergej lag es auf der Zunge, dem Gouverneur zu sagen, dass eine Hand voll Steppenreiter kein Heer darstellten, welches den Schweden fühlbare Verluste zufügen konnte, schluckte die Worte aber hinunter, als er die grauen Schatten in Apraxins Augen sah. Der Gouverneur schien genau zu wissen, in welch aussichtsloser Lage sie sich alle befanden. Daher salutierte er zackig und sagte mit so viel Zuversicht, wie er aufbrachte: »Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, Euer Gnaden.«
Apraxin war anzusehen, dass er sich keine Rettung von einer Rotte Steppenreiter versprach, die nur von der Aussicht auf Plünderungen zusammengehalten wurden, aber er versuchte ebenfalls zuversichtlich zu wirken. Er verabschiedete Sergej mit einer knappen Handbewegung, als verscheuche er eine Fliege, und rief die nächste Ordonanz zu sich. »Ein Eilkurier zu Gjorowzew! Er soll gefälligst seinen Vormarsch beschleunigen.«
Sergej verließ den Gouverneur mit widerstrebenden Gefühlen. Einerseits war er durchaus stolz auf das selbständige Kommando, das Apraxin ihm übertragen hatte, andererseits sah er keine Chance, esmit Erfolg zu führen. Wie er es auch drehte und wendete, es würde eine Himmelfahrtsaktion werden. Ganz in düstere Gedanken eingesponnen wollte er den Palast verlassen, als ihn jemand bei den Schultern packte und schüttelte.
Es war Stepan Raskin, erstaunlich nüchtern und voller Elan. »Bei Gott, Sergej, du weißt gar nicht, wie ich dich beneide! Du kannst wenigstens etwas unternehmen, während wir hier in Sankt Petersburg wie Mäuse auf die schwedischen Katzen warten, die uns fressen wollen. Richte Bahadur einen Gruß von mir aus: Er soll auf sich aufpassen! Und du natürlich auch! Die Heilige Jungfrau von Kasan möge euch beistehen.« Mit diesen Worten ließ er Sergej los und eilte davon, wohl damit sein Freund die Tränen nicht sah, die in seinen Augen aufgestiegen waren.
Sergej blickte ihm einen Moment nach, straffte dann die Schultern und ging weiter. Die Fähre brachte ihn zurück auf die Seite der Newa, auf der sein Quartier lag, und als er kurz danach den Pferdestall betrat, in dem sie seit ein paar Monaten hausten, verspürte er ein seltsam wehmütiges Gefühl. Er hatte sich oft über die primitive Behausung geärgert und sich gewünscht, besser untergekommen zu sein. Doch jetzt, wo er sie verlassen musste, war ihm, als würde er ein lieb gewordenes Stück Heimat verlieren. Er biss die Zähne zusammen und wollte Wanja befehlen, alles für den Abmarsch vorzubereiten, bemerkte dann aber, dass sein Wachtmeister und Bahadur bereits gepackt hatten.
Die beiden saßen am Tisch, ein halb verzehrtes Mittagessen vor sich, und blickten ihm neugierig entgegen. Mit einem gewissen Schuldbewusstsein erinnerte Sergej sich daran, dass er immer noch keinen neuen Burschen eingestellt hatte. Seit dem Zwischenspiel im Salon Reveille besaß er jedoch keine Kopeke mehr, und neuen Sold hatte es noch nicht gegeben.
»Es geht in den Krieg! Wir müssen heute noch nach Krapiwno aufbrechen, um unsere Steppenteufel abzuholen.« Kaum hatte er es gesagt, bedauerte er den Ausspruch, denn
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