Die Tatarin
er sah, dass Bahadurs Gesichtzuerst betroffen wirkte und sich dann beleidigt verschloss. Er wollte sich schon entschuldigen, doch der junge Tatar stand auf, ging wortlos und ohne ihn anzusehen an ihm vorbei zu den Pferden und lud seinem Beipferd die Traglast auf. Sergej wollte ihm helfen, erntete aber einen abweisenden Blick.
Wanja streute weiter Salz in Sergejs Wunde. »Väterchen Sergej Wassiljewitsch, du hättest ein paar Pistolen für unseren tatarischen Fähnrich besorgen müssen.«
Sergej nickte. Auch das war ein Versäumnis, über das er sich jetzt ärgerte. Hier in Sankt Petersburg war keine Zeit mehr, eine bessere Ausrüstung für Bahadur zu organisieren, und so blieb ihm nur die Hoffnung, in Krapiwno etwas Passendes aufzutreiben. Er suchte seine eigenen Sachen zusammen, streifte die pelzgefütterten Überschuhe über die Stiefel und zog den dicken Fellmantel zurecht. Dann packte er den Zügel seines Moschka und führte den Wallach ins Freie.
»Dann wollen wir mal!«, sagte er mehr zu sich als zu seinen Begleitern und schwang sich in den Sattel. Es ging auf Ende Februar zu, und es war immer noch bitterkalt. Nur ein Narr oder ein Genie konnte bei diesem Wetter den Vormarsch ins Russische Reich wagen, und Sergej fragte sich, was von beiden der Schwedenkönig Carl XII. sein mochte. Bisher wusste man nur eines von ihm: Er hatte noch keine Schlacht verloren. So blieb Sergej nur zu hoffen, dass General Lybecker nicht so erfolgreich sein würde wie sein König.
X.
Krapiwno war nur ein winziges Dorf mit windschiefen Katen und einer kleinen, hölzernen Festung, die aus einer Hand voll von einer Palisade umgebenen Blockhütten bestand und in normalen Zeiten vielleicht fünfzig Mann beherbergte. Zu diesem Zeitpunkt gab es dort zwar nicht mehr russische Soldaten, aber um die Palisade herum lagerten etliche hundert Bewaffnete in abgeschabten Lederkaftanen und mit Pelz- oder Filzmützen auf den Köpfen, unter denen flache, kurznasige Gesichter mit kleinen, flinken Augen zu erkennen waren. Die Männer saßen gruppenweise auf Fellen oder Reisigbüscheln, die sie in den Schnee geworfen hatten, tranken dampfenden Tee aus Horntassen oder ließen Wodkaflaschen kreisen. Einige von ihnen brieten Fleisch an den kleinen Lagerfeuern und verzehrten es noch halb roh. Ihre Bewaffnung bestand aus hölzernen Keulen, Speeren, verschiedensten Dolchen, Haumessern und einigen wenigen Säbeln. Fast alle verfügten über einen Hornbogen und einen gut gefüllten Köcher mit Pfeilen, aber es war kaum eine Pistole oder ein Gewehr zu sehen.
Sergej schätzte die Zahl der Männer auf etwa fünfhundert, setzte ihren militärischen Wert jedoch mit Null an. Das Einzige, was für sie sprach, waren ihre Pferde. Jeder schien gut beritten zu sein, und sie verfügten über mehr als hundert Ersatzpferde, die wohl zum Tragen der Beute gedacht waren. Sergej fragte sich, was passieren würde, wenn er mit diesen Burschen gegen die Schweden anritt. Vermutlich würde sich mindestens die Hälfte beim ersten feindlichen Schuss aus dem Staub machen.
Schirin hatte ihre Augen ebenfalls über die asiatischen Reiter wandern lassen, unter denen sie Kalmücken, Baschkiren und einige andere Sibirier identifizierte, und setzte ihren Wert um einiges höher an als derrussische Hauptmann. Wie die Tataren waren diese Männer Krieger, die mit Verstand kämpften. Auch wenn sie versuchten, übertriebene Verluste zu vermeiden, so waren sie keine Feiglinge. Ihnen mochte die Art, wie die Russen Krieg führten, nicht liegen, für einen wirkungsvollen Überfall auf kleinere Scharen waren sie jedoch besser geeignet als normale Soldaten.
Die Steppenreiter blickten nur kurz auf, als die Neuankömmlinge zwischen ihnen hindurchritten, die Soldaten in der kleinen Festung schienen sie jedoch schon händeringend erwartet zu haben, und kaum hatte Sergej die Palisade passiert, schoss aus einer der Hütten ein Major auf ihn zu. »Kommt Ihr, um uns von diesen Schurken da draußen zu befreien?«
Sergej berührte die Pelzmütze, die er bei diesem Wetter anstelle des Dreispitzes trug, mit der behandschuhten Rechten zum Gruß. »Sergej Wassiljewitsch Tarlow. Ich komme im Auftrag des Fürsten Apraxin, um das Kommando über die Hilfstruppe zu übernehmen.«
»Der Heiligen Jungfrau von Kasan sei Dank, dass ich dieses Gesindel endlich loswerde! Man hat sie mir geschickt, ohne mich vorher zu informieren oder die entsprechenden Vorräte zu senden. Es war schrecklich. Die Kerle haben den Bauern in
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