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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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einmal war.«
    Sergej warf einen skeptischen Blick auf den Schmutz in der Hütte. Wenn das hier ein Beispiel für das alte Russland war, von dem nicht nur dieser Major, sondern auch Lopuchin, Jakowlew und Kirilin träumten, so konnte er gut darauf verzichten.

XI.
    Während Sergej dem Major in die Kommandantur folgte, blieben Schirin und Wanja vor dem Tor der Palisade stehen und betrachteten die Sibirier mit unterschiedlichen Gefühlen. Wanja hielt ebenso wenig von diesen Leuten wie sein Hauptmann und musste gegen die Urangst aller Russen ankämpfen, die diese seit den Mongolenstürmen beim Anblick solcher Krieger befiel. Schirin aber erschienen die Männer wie ein Gruß aus ihrer fernen Heimat. Unwillkürlich lenkte sie Goldfell durch ihre Reihen und blickte in unbewegliche Gesichter, deren Augen sie ebenfalls abschätzend musterten. Wie es aussah, waren die Leute es langsam leid, hier in einer feindseligen Umgebung ausharren zu müssen, und begrüßten daher jede Änderung des herrschenden Zustands.
    Mit einem Mal sprang einer der Männer auf, lief ein paar Schritte auf Schirin zu und rieb sich die Augen. Fassungslos blickte er sie an, doch dann stemmte er die Hände in die Hüften und begann schallend zu lachen. »Bei Allah, die Welt ist wirklich klein! Fast kann ich nicht glauben, was meine Augen mir zeigen, aber wenn du kein Dschinn bist, musst du Sch … Bahadur sein.«
    Schirins Herz klopfte zum Zerspringen, und sie starrte den Mann an, als hätten sich die Tore der Dschehenna vor ihr geöffnet, um sie zu verraten und in Elend und Tod zu stürzen. Für einen Moment irritierte sie die Tracht des Kriegers, dann aber erkannte sie ihn und erstarrte. »Kitzaq?«
    Es war tatsächlich Zeynas Bruder, der Unteranführer ihres Vaters, der nun in einem Kalmückenkaftan und mit einer formlosen Pelzmütze vor ihr stand. Wenn er ihr Geheimnis auch nur mit einer Silbe verriet, war es tatsächlich um sie geschehen. Wie gewohnt, verbarg sie den Aufruhr, der in ihr tobte, hinter einer starren Maskeund versuchte, ihrer Stimme einen gleichmütigen Klang zu geben. »Ja, ich bin jetzt Bahadur Bahadurow, Fähnrich der russischen Armee. Und du? Wie bist du denn hierher gekommen?«
    Der Tatar ging einmal um sie und ihr Pferd herum und blieb dann breitbeinig vor ihr stehen. »Das habe ich Zeyna zu verdanken. Nach unserer Niederlage und dem ersten Jassak, den uns die Russen abforderten, ist die Stimmung im Ordu immer gespannter geworden. Einige Leute haben deinem Vater vorgeworfen, den Stamm schlecht geführt zu haben, und gefordert, es müsse ein neuer Khan bestimmt werden. Da mein Name ein paarmal fiel, hat meine Schwester es für das Beste gehalten, mich auszubeißen. Du kennst sie ja! Schließlich hat sie dafür gesorgt, dass du statt ihres eigenen Sohnes den Russen übergeben wurdest. Ehe ich mich versah, hat sie den meisten von unseren Leuten weisgemacht, ich sei an der Niederlage gegen die Russen schuld. Nicht Möngür, sondern ich wäre dafür gewesen, uns an dem Aufstand gegen die Russen zu beteiligen, und ich hätte die jungen Krieger gegen deinen Vater aufgestachelt. So ist es Zeyna gelungen, mich zum Sündenbock für Möngürs Fehler zu machen, und ich musste froh sein, dass man mich nicht umgebracht, sondern nur ausgestoßen und verbannt hat.«
    Kitzaq spie angewidert aus, bevor er weitersprach. »Man hat mir nur einen elenden Gaul und schlechte Waffen gelassen und mir angedroht, mich zu töten, falls ich zurückkäme. Damals war ich natürlich wütend und wollte mich rächen, aber ich habe rasch eingesehen, dass ich chancenlos war. Daher bin ich nach Karasuk zum Markt geritten, um mich dort einem anderen Anführer anzuschließen. Aber der Jassak hat die Stämme arm gemacht oder vertrieben, so dass ich niemanden gefunden habe. Aber zumindest habe ich dort erfahren, dass der russische Zar Hilfsscharen bei den westlichen Stämmen anwerben lässt, und mein Pferd nach Sonnenuntergang gelenkt. Nach einer Weile bin ich auf Männer getroffen, die dasselbe Ziel hatten. Sie sind Ausgestoßene wie ich und wollen ihre Säbel für den Zaren schwingen, um mit der Beute und dem Sold einneues Leben beginnen zu können. Als wir uns bei den Russen gemeldet haben, sind wir zu den Kalmücken und Baschkiren gesteckt worden, die sie schon in großer Zahl angeworben hatten. Ich habe meine Sachen daraufhin gegen kalmückische Kleidung eingetauscht, damit ich nicht auffalle. Bei Allah, ich hätte alles Mögliche erwartet, aber nicht, auf dich zu

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