Die Tatarin
treffen.«
Kitzaq schüttelte den Kopf, als könne er es noch immer nicht glauben. »Du siehst aus, als wäre es dir gut ergangen.« Schirin wusste immer noch nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Nervös öffnete sie den Mantel und schlug ihn zurück, damit er ihre russische Uniform sehen konnte. Dem Flattern seiner Augenlider nach zu urteilen, schien der Offiziersrock ihn zu beeindrucken. »Der Zar wollte keine faulen Sibirier durchfüttern und hat uns daher zu seinen Soldaten gesteckt. Ich bin nun Fähnrich und Stellvertreter des Offiziers, der euch anführen wird, und daher dein Vorgesetzter.« Schirin versuchte mit fester Stimme zu sprechen, reizte Kitzaq damit aber nur erneut zum Lachen.
»Kinderspiele erwachen zum Leben! Erinnerst du dich noch, wie du manchmal versucht hast, den … anderen Jungen Befehle zu erteilen?« Der Tatar hatte sich gut genug in der Hand, um verräterische Bemerkungen zu vermeiden. Er lächelte fröhlich zu Schirin hoch, tätschelte Goldfell und schüttelte immer wieder den Kopf.
Schirin begriff allmählich, dass er sich freute, sie zu sehen, und bewegte erleichtert die verspannten Schultern, um die Muskeln zu lockern. Dann endlich setzte sie ein breites Lächeln auf, sprang aus dem Sattel und umarmte Kitzaq. Sein unerwartetes Auftauchen verunsicherte sie zwar, aber es war doch schön, auf einen vertrauten Menschen zu treffen.
Unterdessen war Sergej wieder ins Freie getreten. Da er nur Wanja entdeckte, suchten seine Blicke unwillkürlich nach Bahadur, und er sah, wie dieser gerade einen der Kalmücken in die Arme schloss. »Was will Bahadur von diesem krummbeinigen Steppenräuber?«, fragte er Wanja verärgert.
Der Wachtmeister zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung! Wie es aussieht, kennt er den Kerl von früher.«
Sergej ging einige Schritte auf die beiden zu, musterte Kitzaq und erkannte ihn sofort. Es war der Mann, der Bahadur nach Karasuk gebracht hatte, und die Begeisterung, mit der der Junge seinen Stammesgenossen begrüßte, ließ ihn eifersüchtig werden. Er hatte geglaubt, Bahadurs Freund geworden zu sein, und nun zeigte dieser, dass ihm an einem abgerissenen Steppenwilden mehr gelegen war als an ihm.
XII.
Das Magazin der kleinen Festung war erbärmlich leer. Es gab zwar drei kleine Kanonen, aber nur verschwindend geringe Vorräte an Pulver. Die einzig vorhandenen Gewehre waren an die Besatzung verteilt, aber es fehlte diesen an Kugeln, und auch sonst existierte nichts Brauchbares. Sergej fielen ein paar kleine Säcke Hafer und etwas Dörrfisch in die Hände, der wohl nur deshalb noch in der Ruine lag, die sich Arsenal schimpfte, weil die russischen Soldaten ihn verschmähten. So konnte er nur hoffen, dass die Kalmücken nicht so wählerisch sein würden. Neue Waffen konnte er ihnen nicht verschaffen, denn es gab nur eine noch halbwegs brauchbare Steinschlosspistole, und die schenkte er Bahadur.
Der junge Tatar nahm die Waffe mit unbewegtem Gesicht entgegen und steckte sie scheinbar achtlos in die Satteltasche. Diese offensichtliche Missachtung ärgerte Sergej, denn normalerweise schätzten Steppenkrieger eine solche Waffe höher als ein Offizier des Zaren einen Orden. Er konnte ja nicht wissen, dass er seinen Fähnrich mit diesem Geschenk erschreckt hatte.
Schirin zitterte innerlich, als sie die Pistole entgegennahm. Zu Hause bei ihrem Stamm hätte ihr Vater oder einer seiner Unteranführer ihr die Waffe sofort weggenommen, und sie hatte Angst, Kitzaq würde sie für sich fordern. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, wie sehr sich die Verhältnisse geändert hatten, seit sie das heimatliche Ordu an der Burla verlassen hatte. Als angehender Offizier der russischen Armee stand sie weit über einem Mann der Hilfstruppen und hätte ihm jederzeit ungestraft die Peitsche überziehen dürfen, zumindest in der Theorie. Kitzaq war jedoch kein Russe und hätte eine solche Behandlung mit dem Säbel beantwortet. Aber er hatte kein Recht, ihre Waffe zu beschlagnahmen, und so setzte sie sich auf einen Baumstamm, derden Wachen als Bank diente, holte die Pistole, den Beutel mit Bleikugeln und das kleine Pulverhorn heraus und untersuchte die Sachen. Sergej schien der Meinung gewesen zu sein, sie wisse, wie man mit solch einer Waffe umging, denn er hatte ihr nicht erklärt, wie man sie benutzte.
Noch während sie hilflos auf die Pistole starrte, schlenderte Kitzaq neugierig herbei. »Eine gute Waffe! Sie tötet einen Mann auf fünfzig Schritte wie ein Blitz«,
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