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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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einen Fahnenschuh, damit du es nicht die ganze Zeit frei tragen musst. Wenn wir losreiten, was hoffentlich bald geschieht, trägst du es aufrecht und hältst dich eine Pferdelänge hinter mir an der Spitze unseres Trupps.«
    Schirin verstand den Sinn dieser Anordnung nicht, nickte aber. Doch der Hauptmann sah schon nicht mehr hin, sondern stiefelte mit langen Schritten davon und winkte Kang, Ischmet und Kitzaq zu sich.
    »Spätestens in einer Stunde will ich aufbrechen. Sorgt dafür, dass eure Leute rechtzeitig auf die Beine kommen!«
    Kitzaq lachte. »Hättest du sofort gesagt, müssten wir uns wohl beeilen. Aber in einer Stunde isst ein Steppenreiter zu Mittag, schläft noch einmal mit seinen Frauen, verabschiedet sich von sämtlichen Freunden, packt seine Satteltaschen und kommt trotzdem nicht zu spät!«
    Die umstehenden Reiter lachten, und Sergej, der ihm eine scharfe Antwort hatte geben wollen, ließ sich von der Heiterkeit anstecken. »Dann tu, was du gesagt hast, aber in einer Stunde sitzt du genau wie alle anderen im Sattel, verstanden?«
    »In einer Stunde wir im Sattel!« Kang wollte als Anführer des größeren Teils der Truppe nicht hinter Kitzaq zurückstehen. Sein Russisch klang grauenhaft, und Sergej fragte sich nicht zum ersten Mal, wieso Bahadur und auch dieser Kitzaq seine Sprache beinahe so flüssig beherrschten wie echte Russen, obwohl ihr Stamm im Unterschied zu den Kalmücken kaum Kontakt mit Leuten aus dem Reich gehabt hatte. Es musste mit jener russischen Sklavin zusammenhängen, die Bahadur erwähnt hatte und die für seinen jungen Freund gewiss mehr gewesen war, als er zugeben wollte.
    Sergej gab seinen Unteranführern noch ein paar Befehle und bereitete sich dann selbst auf den Abmarsch vor. Während er die spärlichen Vorräte sichtete, die die Truppe mitnehmen sollte, fiel ihm ein, dass er den dreien einschärfen musste, alle Stammesstreitigkeiten zu unterbinden. Wenn die Kerle sich gegenseitig an die Kehle gehen wollten, so sollten sie es erst dann tun, wenn der Krieg vorbei war oder sie nicht mehr unter seinem Kommando standen. Bei diesem Gedanken fragte er sich, was er nun eigentlich darstellte. Eine Armee von fünfhundert Reitern hätte von einem Oberst angeführt werden müssen, nicht von einem Mann im Rang eines Hauptmanns. Andererseits handelte es sich um eine Hilfstruppe, die üblicherweise von eigenen Häuptlingen angeführt wurde. Also musste er sich ab jetzt wohl Hauptmann Häuptling nennen. Er jonglierte mit diesem Wortspiel und brach zu Wanjas Verwunderung in ein herzhaftes Lachen aus.
    Der Wachtmeister schüttelte in ehrlicher Entrüstung den Kopf. »Unsere Lage ist wirklich nicht zum Lachen, Sergej Wassiljewitsch. Was ist, wenn die Kerle dort hinten auf den Gedanken kommen, uns die Hälse durchzuschneiden und in ihre Heimat zurückzukehren?«
    »Das werden sie bestimmt nicht tun, mein Guter. Sie haben sich uns angeschlossen, um zu kämpfen und Beute zu machen, und werden daher erst wieder an Heimkehr denken, wenn ihre Satteltaschen voll sind.« Sergej klopfte Wanja beruhigend auf die Schulter, doch der Wachtmeister ließ sich nicht überzeugen.
    »Gebe Christus, der Erlöser, dass Ihr Recht habt, Väterchen. Was mich betrifft, werde ich erst aufatmen, wenn hinter mir brave, russische Dragoner reiten, die die Befehle, die man ihnen erteilt, auch befolgen.«
    Wanja sprach die Sorgen aus, die auch seinen Hauptmann quälten, aber Sergej war klar, dass man sich im Krieg nicht aussuchen konnte, wer neben oder hinter einem ritt. Als er eine knappe Stunde später in den Sattel stieg und einen Blick über seine Steppenreiter warf, die ebenfalls aufgesessen waren, vermisste er mindestens ein Fünftel von ihnen und fühlte, wie heiße Wut in ihm hochkochte.
    Er lenkte Moschka an Kangs Seite. »Wo sind die anderen?«
    Der Kalmücke sah ihn verschmitzt an. »Reiter bald kommen zurück.«
    »Das will ich hoffen!« Sergej fühlte sich so hilflos wie selten in seinem Leben. Wie sollte er eine Truppe kommandieren, deren Männer er nicht disziplinieren konnte? Sollte er betteln und die Kerle auf Knien anflehen, ihm zu gehorchen? Er konnte nur hoffen, dass ein Appell an ihre Kriegerehre sie dazu bringen würde, zu tun, was er von ihnen verlangte, denn er durfte ihnen gegenüber keine Schwäche zeigen. Wütend setzte er sich an die Spitze des Zuges und ritt an. Als er einen Blick zum Tor der hölzernen Festung warf, waren außer den beiden Männern der Torwache keine Soldaten zu sehen, auch

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