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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Möglichkeit.
    »Wir werden nicht weiter auf Sankt Petersburg zumarschieren, sondern nach Süden abschwenken und zuerst einmal Nöteborg einnehmen.« Um seine Entschlossenheit zu betonen, diese Festung zurückzugewinnen, benutzte er den alten schwedischen Namen vonSchlüsselburg, das auf einer Insel an jener Stelle lag, an der die Newa den Ladogasee verließ. Es war, als richteten ihn seine eigenen Worte wieder auf, denn es gelang ihm sogar zu lächeln.
    »Meine Herren, ich habe eben Neuigkeiten erhalten, die den gesamten Krieg entscheiden können. Der russische Zar hat versucht, uns eine Falle zu stellen, doch jetzt sind wir gewarnt und werden den Spieß umdrehen. Wir holen uns zuerst Nöteborg und zerschlagen dann die russische Nordarmee, bevor wir uns Sankt Petersburg zuwenden. Auf welchen Namen sollen wir die Stadt umtaufen, sobald sie uns gehört, Carlsborg oder Carlshamn?«
    Seine Offiziere lachten pflichtschuldig, aber einigen war anzusehen, dass sie mit den neuen Plänen ihres Oberkommandierenden alles andere als zufrieden waren.

VI.
    Obwohl Lybecker drängte, ging der Vormarsch auf Schlüsselburg nicht so rasch vonstatten, wie er gehofft hatte. Die schweren Trainwagen und die großen Belagerungsgeschütze waren auf andere Straßen angewiesen als die mit halb verfaultem Reisig bedeckten Trampelpfade, mit denen die Russen sich zufrieden gaben. Die schwedischen Pioniere verbrauchten daher weitaus mehr ihrer mitgeführten Pfähle und Bohlen, als ihnen lieb sein konnte, und brauchbares Holz gab es in dieser kargen Landschaft so selten, dass es ein Glücksfall war, wenn die Arbeitstrupps ein paar Bäume fällen konnten. Wegen der Bedrohung durch die Steppenwilden, die dem Heer immer noch folgten und von Spähtrupps hie und da entdeckt wurden, musste jede Gruppe von Pionieren unter dem Schutz der zehnfachen Anzahl an Soldaten agieren, daher atmeten Offiziere wie Mannschaften erleichtert auf, als die Vorreiter meldeten, dass die Newa in Sicht kam. Wenige Stunden später erreichte die Spitze des Heereszugs den Fluss an jener Stelle, an der er den Ladogasee verließ, und sie konnten einen Blick auf die Insel werfen, die für sie immer noch Nöteborg war und die in den Augen des russischen Zaren den Schlüssel zur Ostsee darstellte.
    Die Offiziere, die die alte schwedische Festung noch gekannt hatten, schüttelten fluchend den Kopf, denn vor ihnen lag ein modernes Festungswerk mit vorgebauten Bastionen, wie es selbst Vauban, der geniale Festungsarchitekt Ludwigs XIV., nicht besser hätte errichten können. Unzählige Kanonen reckten ihre dunklen Mäuler zu den staunenden Schweden hinüber und schienen nur darauf zu warten, Feuer und Eisen auf das vor ihnen auftauchende Heer zu spucken. Die hölzernen Gebäude, die den Russen auf beiden Ufern als Fährstationen, Ställe und Scheuern gedient hatten, standen inFlammen, und alle Kähne und Prähme waren zur Insel hinübergeschafft worden.
    Lybecker musterte die Festung mit verkniffener Miene und befahl dann, Prinz Buturlin zu rufen. Als der junge Russe erwartungsvoll vor ihm stand, stemmte er die Arme in die Hüften und blickte ihn grimmig an, um ihn einzuschüchtern. »Von deinem Zaren und seinem Heer ist weit und breit nichts zu sehen, und auch nichts von den Prähmen und Flößen, von denen du gesprochen hast!«
    Schirin zwang ihre Lippen zu einem, wie sie hoffte, überlegenen Lächeln. »Ihr könnt doch nicht erwarten, dass Pjotr Alexejewitsch seine Truppen hier aufstellt, wo Eure Späher sie jederzeit entdecken würden. Er hat seine Regimenter bei Nowgorod zusammengezogen und ist von dort mit Prähmen und Flößen den Fluss Volhow hinabgefahren. Mittlerweile dürfte er dessen Mündung in den Ladogasee bereits erreicht haben und bei Nowaja Ladoga wie eine Raubkatze zum Sprung ansetzen, um Euch beim Genick zu packen.«
    Sie brachte ihre Behauptungen so schlüssig vor, dass Lybecker nicht der geringste Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Worte kam. Der General galt als guter Offizier, doch bis jetzt hatte er seine Fähigkeiten nur unter dem direkten Kommando König Carls unter Beweis stellen können. Der König aber war fern, und es gab niemand, der ihm in dieser Situation hätte sagen können, was zu tun sei. Lybecker spürte, wie es ihm kalt über den Rücken rann, als er daran dachte, dass er sich mit seinem Heer womöglich der gesamten russischen Armee gegenübersah, die zudem vom Zaren persönlich geführt wurde. Mochte Peter Romanow im Stab König Carls auch als

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