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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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genommen.«
    Der Angesprochene tat, als würde er Schirin erst jetzt bemerken. »Und warum bringst du ihn hierher, anstatt ihn dem Profos zu übergeben?«
    Nilsson zog den Kopf ein. »Der Mann ist Offizier und wollte mit dem Kommandierenden sprechen.«
    Der schmucke Major zeigte nun doch ein gewisses Interesse. »Was will deinesgleichen von General Lybecker?« Sein Russisch war etwas besser als das des Leutnants.
    Schirin hatte ihre Angst abgestreift wie einen schmutzigen Mantel und fühlte nun eine erwartungsvolle Erregung. Mit gleichmütig freundlicher Miene blickte sie auf den Major herab wie auf einen lästigen Wachoffizier. »Ihn von ein paar guten Freunden grüßen – und ihn warnen!«
    Schirins leichte Herablassung schien den anderen zu verärgern. »Von welchen Freunden sprichst du, und vor was willst du Lybecker warnen?«
    »Das kann ich nur dem General persönlich mitteilen.« Für einen Augenblick fürchtete Schirin, dass sie zu weit gegangen war, und spürte ihre Mission auf Messers Schneide stehen. Der aufgeplusterte Major sah so aus, als würde er sie am liebsten dem Profos übergeben und in Eisen schlagen lassen, schnaubte dann aber und wandte sich mit einer barschen Handbewegung an den Leutnant. »Du kannst zu deinen Leuten zurückkehren, Nilsson! Und du, Russe, steigst ab!«
    Er winkte einen Soldaten mit schlammverschmierten Hosen herbei und befahl ihm, das Pferd des Russen entgegenzunehmen. »Gnade dir Gott«, sagte er dann zu seinem Gefangenen, »wenn du nur gekommen bist, um dem General seine Zeit zu stehlen.«
    Schirin atmete auf, hoffte aber gleichzeitig, sofort zu Lybecker geführt zu werden und nicht noch weiteren nachrangigen Offizieren Rede und Antwort stehen zu müssen. Der Major führte sie zu einer Stelle,an der die Spitze des Heereszugs zum Stehen gekommen war. Hier konnte man sehen, dass der Untergrund den Bohlenweg auch ohne Belastung nicht tragen konnte und die Baumstämme verschluckt hatte, die als Stützpfeiler hätten dienen sollen. Umgeben von einem Kordon aus Soldaten mit schussbereiten Waffen standen etliche Offiziere auf einem festen Stück Land, das wie eine Insel aus dem Sumpf ragte, und diskutierten lebhaft, ob sie diesen schier grundlosen Morast umgehen oder allen Problemen zum Trotz den Bohlenpfad mit längeren Pfählen weiterbauen lassen sollten. Die Männer sahen beinahe ebenso prächtig aus wie der Major, der sie begleitete, doch Schirin erkannte den kommandierenden General an seiner Haltung und vor allem an den devoten Mienen derer, die ihn umgaben.
    Lybecker wirkte bei weitem nicht so aufgeputzt wie ihr Begleiter, stellte ihn aber mit der Eleganz seines blauen, wie angegossen sitzenden Rockes und der schwarz glänzenden, bis ans Knie reichenden Lederstiefel in den Schatten. Auf dem Kopf trug er einen breitkrempigen schwarzen Schlapphut, der mit einer einzigen, schwungvoll nach hinten ragenden Feder geschmückt war, und um seinen Hals hing eine feste Kette mit einem handgroßen Schild, auf dem neben dem Dreikronenwappen der Schweden sein Rang eingraviert war. Quer über dem Leib des Generals spannte sich eine breite, gelbe Schärpe, um seine Taille saß ein lederner Gürtel, und an seinem Wehrgehänge schaukelte ein Degen.
    Als der Major auf ihn zutrat, drehte er sich mit dem verärgerten Ausdruck eines Mannes um, der sich bei einer wichtigen Sache gestört fühlt. »Was gibt es, Bergquist?«
    Der Major salutierte und bedachte dabei seinen Begleiter mit einem Blick, der alle Strafen der Hölle versprach, wenn die Nachricht, die dieser versprochen hatte, sich als leeres Gerede herausstellen würde. »Melde gehorsamst, Herr General. Dieser Russe wurde soeben gefangen genommen. Er bestand darauf, zu Euch geführt zu werden.«
    Lybecker wirkte irritiert, denn im Normalfall zählte ein Fähnrichnicht zu den Rängen, die ein Gespräch mit einem General fordern konnten.
    »Wer bist du, und was willst du?«, fragte er Schirin in einem Russisch, das noch eine Spur besser war als das von Major Bergquist.
    »Mein Name lautet Wladimir Safronowitsch Buturlin. Ich soll Euch von Freunden grüßen, deren Namen ich Euch nur unter vier Augen nennen darf«, antwortete Schirin gelassener, als sie sich fühlte.
    Lybecker zögerte einen Moment und nickte dann. »Entwaffnet den Kerl, und seht zu, dass er keinen versteckten Dolch bei sich hat«, befahl er Bergquist. Der rief zwei Soldaten zu sich, die Schirin den Säbel abnahmen und ihre Kleidung abfingerten. Einer glitt mit der Hand über

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