Die Tatarin
ihre durch ein festes Band flachgedrückten Brüste, ohne etwas zu bemerken. Schirin musste jedoch an sich halten, um sich nicht durch ihr Erschrecken zu verraten. Aber die Gefahr war schon vorbei, denn die beiden Soldaten meldeten Bergquist etwas, das höchstwahrscheinlich »Keine Waffen gefunden!« bedeuten sollte.
»Gut! Kommt mit mir.« Lybecker fasste den Fähnrich am Ärmel und zog ihn ein paar Schritte beiseite. »Jetzt berichte, was du mir zu sagen hast.«
Schirin öffnete den Mund, doch die Stimme versagte ihr. Schnell zählte sie sich die Namen der drei Männer auf, die Sergej als Verräter bezeichnet hatte. »Ich … nun, ich soll Euch von Major Lopuchin grüßen, und von Oberst Jakowlew, die gute Freunde von Euch sind«, brachte sie stotternd heraus.
Die Namen sagten dem General nichts, doch er wusste, dass es in Russland eine Opposition gegen Zar Peter gab, die bis in die Armee hineinreichte. Außerdem war ihm die Familie Buturlin ein Begriff, die ohne es zu ahnen zu einem neuen Mitglied gekommen war. Dieses fürstliche Geschlecht behauptete von sich, von edlerer Herkunft zu sein als die Romanows, da sie ihre Blutlinie bis zu Wladimir Monomach und über diesen bis zu Rjurik, dem ersten Großfürsten von Nowgorod und Kiew, zurückführen konnten. Das behauptete dieherrschende Dynastie zwar ebenso, aber die Urkunden, auf die sich auch der jetzige Zar berief, waren wesentlich anfechtbarer als die der Buturlins. So kam es, dass dieser Name Lybecker neugierig machte und sein Misstrauen ein wenig einschläferte. »Und was wollen die Herren, die dich geschickt haben, mir mitteilen?«
»Euch warnen«, stieß Schirin hervor. »Wenn Ihr weiter auf Sankt Petersburg zumarschiert, werdet Ihr in eine vorbereitete Falle geraten.«
»Eine Falle?« Lybecker lachte ungläubig auf, aber seine Miene verriet Besorgnis.
Schirin nickte heftig. »So ist es! Der Zar – Gott möge ihn in die tiefste Hölle verdammen! – hat die Stadt schwer befestigen lassen und benutzt auch seine Schiffe als Bollwerke!«
Der General starrte sie verwirrt an. »Seine Schiffe?«
»Ja! Der Zar nennt sie seine schwimmenden Festungen und verkündet, dass die Bordkanonen Euer Heer zusammenschießen werden. Es befinden sich sehr viele Schiffe in Sankt Petersburg, und sie können an jede Stelle der Newa und der Kanäle geschleppt werden. Außerdem haben ihm diese Ausländer, Holländer nennen sie sich, zwei der ganz großen Schiffe geschickt, um ihn zu unterstützen.«
»Kanäle?« Das Wort schien Lybecker wenig zu gefallen.
Schirin nickte und erklärte ihm, dass der Zar dem Fürsten Apraxin befohlen habe, an kritischen Stellen Kanäle zu graben, die seine Schiffe befahren konnten. »Außerdem steht noch das russische Nordheer bereit, um Euch den Rückzug zu verlegen und die Falle zu schließen«, setzte sie eifrig hinzu.
Auf Lybeckers Lippen erschien ein überlegenes Lächeln, als wisse er Dinge über den dort kommandierenden General, die Sergej verborgen geblieben waren.
Bei Schirins nächsten Worten verschwand das Lächeln. »Der Zar hat persönlich das Kommando über die Nordarmee übernommen, um die Stadt, die seinen Namen trägt, zu beschützen.«
»Was sagst du da? General Gjorowzew ist nicht mehr der Oberkommandierende der Nordarmee?« Lybeckers Stimme klang schrill und laut genug, um einige der in der Nähe wartenden Offiziere aufmerksam werden zu lassen.
Schirin bestätigte nachdrücklich ihre Behauptung und erklärte weiter, dass der Zar eine große Anzahl von Prähmen und Flößen an den Ufern des Ladogasees habe bauen lassen, um mit seiner Armee die Newa abwärts bis Sankt Petersburg fahren zu können. »Er will Eurer Armee in den Rücken fallen, versteht Ihr? Wenn er Euch besiegt und Eure Truppen in die Newa oder ins Meer jagen kann, fasst das russische Heer genug Mut, um sich Eurem König entgegenzustellen«, setzte sie beschwörend hinzu.
»Das sind verdammt schlechte Nachrichten!«, murmelte Lybecker. Da er ganz in Gedanken die russische Sprache verwendete, verstand Schirin seine Bemerkung und rieb sich innerlich die Hände. Wie es aussah, war der Fisch dicht davor, an ihre Angel zu gehen. Der General stellte ihr noch einige Fragen, die sie teils nach Sergejs Instruktionen und teils nach ihrem Gefühl beantwortete. Wäre Lybecker nicht der in Westeuropa weit verbreiteten Verachtung für die Russen zum Opfer gefallen, hätte er merken müssen, dass ihm nicht der Sprössling eines altehrwürdigen russischen Fürstenhauses
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