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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Harmonie vereint schienen.
    Schobrin konnte einen Ausruf der Überraschung nicht unterdrücken. »Der ist doch nie im Leben ein Tatar!«
    »Ein wahrer Prinz!«, sagte der Oberst bewundernd. Sergej war der gleichen Meinung. Er hatte einen struppigen Burschen in einem schmutzigen Kaftan erwartet, aber nicht diese stolze Erscheinung, die ihn und die anderen jungen Offiziere zu höchst durchschnittlichen Gestalten degradierte. Unwillkürlich empfand er Neid auf das gute Aussehen der Geisel und einen Ärger, den er sich selbst nicht erklären konnte.
    »Ist das wirklich Möngürs Sohn?«, fragte er Wanja zweifelnd.
    Es war Schirin, die ihm antwortete. »Möngür Khan ist mein Vater!« Ihre Stimme klang klar, wenn auch ein wenig zu hell für einen Jungen, und sie sprach russisch fast ohne Akzent.
    Sergej schätzte den schmucken Burschen auf vierzehn, höchstens fünfzehn Jahre. Seiner Kleidung nach musste der Junge der erklärte Liebling seines Vaters sein, und umso erstaunlicher fand er es, dass die Tataren ihn widerstandslos ausgeliefert hatten. Mit einem Mal empfand Sergej Stolz, dass es ihm gelungen war, solch eine Geisel in die Hand zu bekommen, und sah sich freudestrahlend um. Kirilin quoll der Neid aus jeder Pore, obwohl auch er eine wertvolle Geisel erpresst hatte, nämlich Ilgur, den Sohn des Emirs von Ajsary.
    Da Sergej nichts anderes einfiel, begann er den jungen Tataren zu verhören. »Wie kommt es, dass du unsere Sprache so gut sprichst?«
    Schirin zuckte zunächst nur mit den Schultern, erinnerte sich dann jedoch an den Grund ihres Kommens und funkelte ihn feindselig an. »Da ich nun hier bin, müsst Ihr meinen Vater freilassen!«
    »Der Bursche hat das Zeug zum Befehlen!«, rief der Oberst lachend.
    Kirilin stieß eine Verwünschung aus. »So ein unverschämter Hund! Für wen hält er sich denn? Für einen neuen Dschingis Khan?«
    Sergej wurde von Schirins Forderung überrascht und drehte sich Hilfesuchend zu Mendartschuk um. Der Oberst nickte zustimmend. »Wenn dieser Möngür und seine Leute den Treueid auf den Zaren abgelegt haben, können sie meinetwegen noch heute verschwinden, dann brauchen wir sie auch nicht länger durchzufüttern.«
    Kirilin nickte so eifrig, als müsste er die Speisen für die gefangenen Tataren aus seiner eigenen Tasche bezahlen, dann huschte ein hämisches Grinsen über sein Gesicht. »Vorher soll dieser Tatar ein Glas auf die Gesundheit unseres Zaren leeren.«
    Er füllte sein Glas bis zum Rand und drückte es Schirin in die Hand. Sie betrachtete die klare Flüssigkeit misstrauisch und rümpfte die Nase wegen des stechenden Geruchs, der ihr entströmte. Kirilin und ein paar andere Offiziere blickten sie auffordernd an, doch da stand der Oberst auf, nahm ihr das Glas weg und warf Kirilin einen strafenden Blick zu. »Der Bursche ist Moslem, du Narr, und denen ist der Schnaps von ihrem Mohammed verboten worden.«
    »Es sollte doch nur ein Scherz sein«, verteidigte sich Kirilin.
    Mendartschuk schüttelte verärgert den Kopf. »Ein schöner Scherz! Wenn der Bursche seinen Glauben ernst nimmt, machst du ihn mit einer solchen Forderung zu unserem Todfeind, und das könnte der Anlass zum nächsten Aufstand sein, mit dem wir uns herumschlagen müssen.« Er winkte dem Tatarenprinzen, ihm zu folgen, und führte ihn hinaus auf den Appellplatz. Auf seinen Befehl hin eilten mehr als zweihundert Grenadiere, Dragoner und Kosaken herbei und bildeten einen Kreis, in den Möngür und seine Leute getrieben wurden. Kitzaq, der vor der Kommandantur herumgelungert hatte, eilte zu seinem Schwager.
    »Ich habe deinen Sohn Bahadur gebracht, Möngür, so wie du und Zeyna es wolltet.«
    Möngür nickte, ohne eine Regung zu zeigen. Einige seiner Leute streiften Schirin mit neugierigen Blicken, doch keiner verriet mit einer Geste oder einem Wort seine Verblüffung. Der Oberst schritt an der Tatarengruppe entlang, blieb schließlich vor dem Khan stehen und bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Du wirst jetzt dem ZarenTreue schwören, dann kannst du mit deinen Leuten verschwinden!«
    Es bereitete Möngür Mühe, seine reglose Miene beizubehalten, denn am liebsten hätte er dem Russen ins Gesicht gelacht. Vom Mullah seines Stammes wusste er, dass ein Eid, der einem Ungläubigen geleistet wurde, weniger galt als das Kläffen eines Hundes, und was die Geisel betraf, die er hatte übergeben müssen, so hätten die Russen zehn seiner Töchter haben können, ohne dass es ihn bekümmert hätte. Daher sprach er

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