Die Tatarin
ohne Zögern die Eidesformel nach, die der Oberst ihm vorlas und die ihn verpflichtete, Zar Pjotr Alexejewitsch als seinen Herrn anzuerkennen und ihm Steuern zu zahlen. Noch während er die Worte formulierte, schwor er, dass die Russen den Jassak höchstens ein einziges Mal von seinem Stamm würden einziehen können. Die Steppe war weit, und er hatte gute Freunde, die ihm helfen würden, sich außerhalb des russischen Herrschaftsbereichs anzusiedeln.
Mendartschuk ahnte nichts von den Gedanken des Tataren und war daher zufrieden. Als die Eidesformel gesprochen war, gab er den Befehl, die Pferde der Tataren zu bringen. Es waren höchstens die Hälfte von denen, die man ihnen abgenommen hatte, so dass die Männer zu zweit aufsitzen mussten. Die Armee des Zaren brauchte selbst Pferde, und eine gewisse Strafe für die Beteiligung am Aufstand, fand der Oberst, musste sein.
Die Tataren nahmen das ebenso ungerührt hin wie die Tatsache, dass die Russen ihnen auch den besten Teil ihrer Waffen vorenthielten. Möngür warf einen kurzen Blick auf den Ehrensäbel, der an Schirins Hüfte hing, und überlegte, ob er ihr diesen nicht abnehmen sollte. Da eine solche Handlung die Russen misstrauisch gemacht hätte, verzichtete er schweren Herzens darauf, seinen kostbarsten Schatz wieder an sich zu nehmen. Als er dann ohne ein weiteres Wort auf sein Pferd steigen und wegreiten wollte, hob der Oberst verwundert den Kopf. »Willst du deinem Sohn nicht einen Mann mitgeben, der ihn bedienen kann?«
Möngür verzog sein Gesicht zu einem breiten Lächeln. »Wozu? Bahadurkann gut für sich selber sorgen; ihn zu bedienen überlasse ich gern Euren Leuten.« Dabei fiel ihm ein, dass es auffallen würde, wenn er sich nicht von Schirin verabschiedete. Daher stieg er noch einmal ab, drückte seinem Schwager die Zügel seines Pferdes in die Hand und trat auf seine Tochter zu. Er hatte sie lange nicht mehr beachtet und stellte verwundert fest, dass er nun zu ihr aufschauen musste.
»Denke bei allem, was geschieht, daran, dass du zum Besten des Stammes handeln musst!«, mahnte er sie.
Schirin nickte bedrückt und versuchte, den Frosch hinunterzuschlucken, der ihre Kehle verschloss. »Ich werde dir und unserem Stamm Ehre machen, Vater!«
Ihre Stimme klang ängstlich und schrill, doch Möngür nickte zufrieden. »Das weiß ich. Möge Allah dich beschützen, mein Sohn!«
In dem sicheren Gefühl, den Russen ein schönes Schauspiel geliefert zu haben, wandte er sich ab und sprang auf sein Pferd. »Folgt mir!«, rief er seinen Männern zu und musste dabei an sich halten, um nicht im vollen Galopp durch die Stadt zu preschen.
Schirin blickte den wegreitenden Männern nach und begriff, dass sie von jetzt an ganz auf sich allein gestellt war. Das Gefühl lähmte sie, und sie blickte sich ängstlich zu Sergej Tarlow um, dem der Russe namens Wanja sie ausgeliefert hatte.
Sergej beachtete den jungen Tataren nicht, sondern sprach mit dem Oberst und rief dann Wanja zu sich. »Bring den Tataren zu den übrigen Geiseln!«
Mit diesen gleichgültigen Worten drehte er dem vermeintlichen Bahadur den Rücken zu und kehrte mit Mendartschuk und den anderen Offizieren in die Kommandantur zurück. Der Diener des Obersts hatte die Wodkagläser bereits neu gefüllt, und sie brachten einen weiteren Toast auf den Zaren aus. Danach holte Mendartschuk eine Mappe aus dem grob gezimmerten Schrank, der zusammen mit dem Tisch und den Stühlen die gesamte Einrichtung des Raumes bildete, blickte kurz zur Ikone des heiligen Wladimir auf, die neben dem Bildnis des Zaren an der Wand hing, und schlug das Kreuz.
»Ich werde euch jetzt die Befehle des Zaren verlesen. Für die meisten von euch werden es die letzten sein, die ihr von mir erhaltet.« Es klang ebenso erleichtert wie bedauernd. Der Krieg im Westen forderte seinen Tribut, und der Zar brauchte dort jeden Mann, der eine Waffe halten konnte, vor allem aber jene Offiziere, die den Geruch des Pulvers bereits kannten und nicht gleich zum Rückzug blasen ließen, wenn sie die Fahne mit dem gelben Kreuz auf blauem Grund in der Ferne flattern sahen. Aus diesem Grund verlor Mendartschuk nicht nur die zu ihm abkommandierten Offiziere, sondern auch seinen Stellvertreter und die beiden Leutnants, die seit Jahren unter ihm gedient hatten.
Während der Oberst beim Gedanken an diese Entwicklung melancholisch wurde, wirkten die jungen Herren geradezu fröhlich und ausgelassen. Vor allem Kirilin drängte es, so schnell wie möglich nach
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