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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Westen zurückzukehren, denn nur dort bestand die Aussicht, Karriere zu machen. Sergej empfand seine Flucht in der Schlacht an der Narwa immer noch als Schmach und brannte darauf, möglichst bald gegen die Schweden zu Felde zu ziehen. Aber bevor der Oberst die Befehle vorlas, war nach Brauch und Sitte ein weiterer Trinkspruch fällig.
    Mendartschuk hob das Glas und blickte in die Runde. »Auf Mütterchen Russland und dass es stets allen Feinden widersteht!«
    »Auf Russland!«, riefen die anderen, tranken aus und schmetterten die Gläser auf den Boden. Der Oberst wartete einen Augenblick, dann tat er es ihnen gleich.
    »Und darauf, dass wir die verdammten Schweden endlich einmal schlagen«, setzte Sergej leise hinzu.
    Der Oberst schlug seine Mappe auf und nahm ein paar Blätter heraus. »Der Zar fordert von uns für den Krieg gegen die Schweden jeden Mann, den wir entbehren können, und das so rasch wie möglich. Kirilin, du wirst bereits morgen mit deinen Grenadieren aufbrechen und in Eilmärschen nach Moskau ziehen, um sie dort wieder mit dem Gros eures Regiments zu vereinigen, das Gleiche gilt für Wojtschinsky und seine und Tarlows Dragoner.«
    Sergej ballte die Fäuste, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Er hatte seine Männer zwar bereits während der Kämpfe mit den Aufständischen an Wojtschinsky übergeben müssen und die ihm zugeteilte Kosakeneinheit angeführt. Dabei aber hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, seine Kompanie selbst nach Westen führen zu können. Jetzt packte ihn die Angst, in Sibirien bleiben zu müssen, während das Zentrum des Reiches in Flammen stand.
    Mendartschuks nächste Worte waren nicht geeignet, seine Besorgnis zu beschwichtigen. »Da der Aufstand niedergeschlagen ist, können wir die Garnison von Karasuk auf einhundertzwanzig Kosaken und dreißig Mann der Grenztruppen verringern. Igor Nikititsch Schobrin, du wirst dich übermorgen mit den übrigen Kosaken und Soldaten in Marsch setzen. Die Leutnants Borzow und Tschelpajew werden dich begleiten.«
    Sergej hielt die Spannung nicht mehr aus und sprang erregt auf. »Und was soll ich tun, Boris Michailowitsch?«
    Kirilin warf ihm einen spöttischen Blick zu. Jetzt wirst du als Mendartschuks Stellvertreter hier in Sibirien versauern, schien er sagen zu wollen. Doch noch war der Oberst nicht zu Ende. »Du, Sergej Wassiljewitsch, wirst die Geiseln nach Moskau begleiten und dafür sorgen, dass sie gut dort ankommen.«
    Mendartschuk nahm mit einer gewissen Genugtuung wahr, dass der Spott aus Kirilins Blick wich und unverhohlenem Neid Platz machte, und lächelte in sich hinein. Diese Aufgabe gönnte er dem jungen, verantwortungsvollen Offizier, der mehr als die meisten anderen dazu beigetragen hatte, den Aufstand schnell und recht unblutig niederzuschlagen. Wenn Tarlow die Heimat glücklich erreichte und keine Geisel verlor, bedeutete das höchstwahrscheinlich eine Beförderung. Im Unterschied zu Kirilin entstammte er keiner bekannten Familie und war, da er seinen Weg aus eigener Kraft gehen musste, auf solche Gelegenheiten angewiesen.
    Sergej salutierte gehorsam, doch auf seinem Gesicht zeichnete sich Ärger ab. Es war ihm zuwider, Bärenführer für eine Hand voll sibirischerHäuptlingssöhne spielen zu müssen, während seine Kameraden ins Feld zogen. Doch Befehl war Befehl, und er würde ihn befolgen.
    Kirilin bemerkte Sergejs Unbehagen und hätte ihm gerne vorgeschlagen, ihre Aufgaben zu tauschen. Doch leider gehörten sie zu verschiedenen Truppengattungen, und ein Dragonerhauptmann durfte nicht das Kommando über eine Grenadierkompanie übernehmen.

VI.
    Während die Offiziere ihre Befehle entgegennahmen, wurde Schirin von Wanja zu einem festen Anbau hinter der Kommandantur geführt, dessen Fenster vergittert waren. Zwei Wachen standen mit aufgepflanzten Bajonetten vor der Tür. »Bringst du uns einen weiteren Gast, Iwan Dobrowitsch?«, fragte einer der beiden lachend, während er einen großen Schlüssel aus einer Tasche seines verschossenen Uniformrocks hervorholte.
    »Den letzten!«, antwortete Wanja mit sichtlicher Erleichterung. »Jetzt werden wir dieses verdammte Sibirien endlich hinter uns lassen und wieder in das wahre Russland zurückkehren.«
    Die beiden Wachen grinsten nur. Sie waren schon seit Jahren in dieser Gegend und fühlten wenig Neigung, ihren Posten zu verlassen, um sich mit den schwedischen Ungeheuern herumschlagen zu müssen, von denen es hieß, jeder sei im Kampf so viel wert wie zehn Russen.
    Wanja

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