Die Tatarin
sagte sich, dass sie um des lieben Friedens willen dieses Opfer bringen musste. »Also auf den Zaren, und dass er es diesen Schweden endlich einmal so richtig zeigt!« Sie kippte das scharfe Zeug in ihren Mund und schluckte es mit Todesverachtung hinunter. Dann reichte sie dem Diener den leeren Becher zurück, verließ die Runde mit einem kurzen Abschiedswort und lehnte sich etliche Dutzend Schritte entfernt an eine zartgrün befiederte Birke.
Sergej wäre Bahadur am liebsten gefolgt, denn der Bursche schien in einer Stimmung zu sein, in der man mit ihm reden konnte. Er hatte so vieles auf der Seele liegen, was er ihm gern gesagt hätte, aber als er aufstehen wollte, nötigten ihn die beiden Plagegeister Raskin und Tirenko zum Weitertrinken. Während die Sonne nach Westen wanderte und auch noch ein ganzes Stück weit nach Norden zog, ehe sie nach einem sehr langen Tag hinter den Horizont tauchte, klangen muntere Lieder durch die ausgedehnten Birkenwälder, die an dieser Stelle die Eintönigkeit der Sümpfe unterbrachen. Der Wodka löste Sergejs Zunge, und schließlich feierte er in fröhlicherer Stimmung mit seinen Freunden den ersten handfesten Erfolg auf diesem Feldzug und stimmte in die Hoffnung mit ein, dass der gesamte Krieg nun einen besseren Verlauf nehmen würde.
XI.
Nach einer weiteren Woche konnte Sergej sicher sein, dass Lybecker nicht mehr nach Sankt Petersburg zurückkehren würde, und gab die Verfolgung auf. Er und seine Männer hatten nun mehr als ein halbes Jahr im Feld gestanden und dabei ebenso Eis und Schnee getrotzt wie dem Frühjahrsregen, der das Land mit Matsch und klammer Nässe überzogen hatte. Nun war der nordische Sommer mit seinen endlosen hellen Tagen heraufgezogen, mit Lichtspielen aus grünem Laub, weißen Birkenstämmen und unzähligen Blumen, die in allen Farben des Regenbogens schimmerten. Es wäre ein Genuss gewesen, durch diese Landschaft zu reiten, hätte es nicht die Myriaden von Blutsaugern gegeben, die sich zu jeder Tages- und Nachtzeit auf Mensch und Tier stürzten und, wie Wanja steif und fest behauptete, einen Menschen innerhalb von Minuten aussaugen konnten.
Die Steppenkrieger besaßen Mittel, mit denen sie den winzigen Teufeln in Insektengestalt den Appetit verderben konnten, und waren jeden Abend damit beschäftigt, verschiedene Pflanzenteile zu zerstoßen und sie mit Birkenharz zu einem zähen Brei zu rühren. Diesen schmierten sie auf sämtliche Körperteile, die nicht von dicker Kleidung gegen die Blutsauger geschützt waren. Die Salbe stank jedoch so fürchterlich, dass Sergej und die anderen Russen sich demonstrativ die Nasen zuhielten und sich weigerten, das Zeug zu benutzen. Als Soldaten waren sie nicht nur Wohlgerüche gewöhnt, doch die penetrante Schärfe dieses Tatarenmittels, so behaupteten sie, verdarb ihnen sogar den Appetit auf Wodka.
Schirin benutzte die Paste ebenfalls, denn sie kannte das Mittel von zu Hause, und sie beantwortete die angeekelten Mienen der Offiziere mit Spott, da sie nicht begreifen konnte, warum die Männersich lieber stechen ließen, als ein wenig unangenehmen Geruch zu ertragen. Als die Truppe einige Tage später in Sankt Petersburg ankam und sofort zu Fürst Apraxin geführt wurde, der sie auf dem Hof seines Palasts empfing, wünschte sie sich jedoch, sie hätte an diesem Morgen auf ihre Mückenabwehrsalbe verzichtet und sich gründlich gewaschen.
Sergej trat vor und salutierte vor dem Fürsten. »Hauptmann Tarlow meldet sich mit seiner Einheit vom Kampfeinsatz zurück.«
»Einheit?« Apraxins Nase krauste sich nicht nur wegen des Gestanks, der von den Steppenreitern und einem gewissen Fähnrich ausging, sondern auch über den Aufzug der Männer, die sich stolz mit schwedischen Beutestücken behängt und bekleidet hatten. Die Kerle gleichen mehr einer Räuberbande als einer Hilfstruppe, stellte der Gouverneur fest, fragte sich aber dann, ob eine russische Dragonerabteilung ähnliche Erfolge aufzuweisen gehabt hätte wie diese flachgesichtigen Kerle, deren Aussehen ihn immer noch an den Schrecken erinnerte, den ihre Vorfahren einst über Russland gebracht hatten.
Als Gouverneur von Sankt Petersburg durfte er nur auf das Ergebnis sehen, das diese Leute erzielt hatten, und so nickte er zufrieden. »Ihr habt den Schweden heftige Probleme bereitet, habe ich mir sagen lassen.«
Sergej salutierte erneut. »Wir haben nur unsere Befehle befolgt, Euer Gnaden.«
Apraxin, der vor lauter Sorge um seine Stadt schon lange vergessen
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