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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Offiziere nicht darum gerissen, in die russische Armee einzutreten. Nur einige wenige Holländer, Deutsche und Schotten waren nach Russland gekommen, um im Heer des Zaren zu dienen. Dazu gehörte auch Oberst Nikolaus Hering, der Kommandant des Dragonerregiments Rijasan, zu dem Sergej sich noch immer zählte, obwohl er mittlerweile schon länger als ein Jahr nicht mehr unter Herings Befehl stand.
    Tirenko begrüßte Bahadur ebenso erfreut wie Raskin und blickte ihn mit großen, dunklen Augen bewundernd an. »Wir haben ja nur Gerüchte über euch vernommen, aber wie es aussieht, müsst ihr den verdammten Schweden ganz schön eingeheizt haben. Stepan und ich und auch die anderen Freunde haben euch glühend beneidet. Was müssen das für herrliche Kämpfe gewesen sein!«
    Schirin sah die brennenden Häuser der Bauern und die Gesichter der schreienden Frauen vor sich, die sich unter den harten Händen der Kalmücken wanden, und musste an sich halten, um Tirenko nicht ein paar deutliche Worte zu sagen. Stattdessen zuckte sie nachlässig mit den Schultern. »Es ging.«
    Raskin stieß seinen Freund mit der Faust an. »Du kennst doch Bahadur! Er ist nie sehr gesprächig. Wenn wir etwas erfahren wollen, müssen wir uns an Sergej halten.«
    Zu ihrem Pech erwies ihr Freund sich ebenfalls als nicht besonders redselig, und so ließen sie sich schließlich von Wanja eine ebenso wilde wie phantasievolle Geschichte auftischen.
    Die beiden nahmen jedes Wort für bare Münze, und als Wanja endete, warf Tirenko mit leuchtenden Augen die Arme zum Himmel. »Herrlich! Ich hätte dabei sein mögen, als Bahadur den Schweden seine Märchenstunde erteilte. Und wie todesmutig von Sergej, in das feindliche Lager einzudringen, um ihn zu befreien! Mich soll der Teufel holen, wenn ich je von einer kühneren Tat gehört habe.«
    »Wenn du noch lange daherredest, wird er dich holen«, antwortete Sergej so mürrisch, als wäre das übertriebene Lob ihm peinlich.
    Seine beiden Freunde lachten ihn jedoch aus, und Raskin klopfte ihm auf die Schulter. »Sieh dir diesen alten Haudegen an! Macht den Schweden seit einem halben Jahr ein Feuer nach dem anderen unter dem Hintern und tut dann so, als wäre es das Normalste auf der Welt. Ich wette, Väterchen Pjotr Alexejewitsch wird ihn für die Rettung von Sankt Petersburg zum Grafen ernennen oder wenigstens zum Baron.«
    Sergej zog ein Gesicht, als würde er dem Sprecher am liebsten den Kopf abreißen, begnügte sich dann aber mit einem Achselzucken. »Noch ist die Stadt des Zaren nicht außer Gefahr, mein Guter. Lybecker kann immer noch Appetit bekommen umzukehren, um sie zu erobern.«
    Sein Pessimismus konnte die gute Laune der beiden Freunde nicht trüben. »Das glaubst du doch selber nicht! Dafür hat er zu viele Geschütze und Leute verloren. Komm, Sergej, trink einen Schluck Wodka mit uns, und freue dich über deinen Erfolg. So etwas ist gut für die Moral der Armee.«
    Sergej zog nur die Schultern hoch, Wanja aber sah Raskin mit bettelnden Augen an. »Wir würden ja gerne ein Schlückchen trinken, aber wir haben seit Wochen keinen Wodka mehr gesehen.«
    »Dem kann abgeholfen werden!«, rief Raskin fröhlich und winkte einem Reiter, der ein Saumpferd mit sich führte. Schirin kam der Mann bekannt vor, und als er devot den Kopf neigte, erkannte sie trotz der Dragoneruniform in ihm einen der jüngeren Diener aus dem Palais Raskin, den sein Herr wohl als Offiziersburschen mitgenommen hatte. Auf Raskins Wink holte der Mann eine gut eingewickelte Steingutflasche und mehrere silberne Becher aus den Packtaschen, füllte sie und reichte sie nacheinander den beiden Leutnants, Sergej und Wanja. Auch Schirin bekam einen Becher in die Hand gedrückt und starrte etwas unglücklich auf die darin schwappende Flüssigkeit, denn sie ahnte, was nun kommen würde.
    Raskin brachte den ersten Trinkspruch auf den Zaren aus und blickte Bahadur dann auffordernd an. »Wenn du heute nicht mitsäufst, bin ich dir ernsthaft böse!«
    Schirin zuckte mit den Schultern. »Dann bist du es eben!«
    Raskin verdrehte die Augen. »Lehre mich einer die Tiefen des asiatischen Gemüts kennen!«
    »Vorhin nanntest du mich mindestens einen halben Russen«, spöttelte Schirin.
    »Das war wohl ein Irrtum!« Raskin schenkte ihr einen bettelnden Hundeblick. »Aber dieses eine Becherchen Wodka wirst du doch mit uns trinken? Mir zuliebe!«
    Schirin betrachtete den Becher, der etwas kleiner war als die Gläser, aus denen die Freunde sonst tranken, und

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