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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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dem Mädchen. »Hier, das hast du vergessen!«
    Schirin starrte den Säbel an, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen,riss ihn dann Kitzaq aus der Hand und stieß ihn in die Scheide zurück. Halbblind vor Tränen lockerte sie die Zügel ihres Pferdes, ohne darauf zu achten, wohin es ging.
    Ein scharfer Pfiff warnte sie. Sie lenkte Goldfell unwillkürlich in den Acker und starrte mit verschwommenem Blick auf die Kutsche, die in einem höllischen Tempo den holprigen Weg heranschoss und in die Goldfell beinahe hineingelaufen wäre. Ein Mann steckte den Kopf zu der Öffnung im Schlag hinaus, rief einen scharfen Befehl, und sofort wurde der Wagen langsamer, bis er dreißig Schritt weiter zum Stehen kam.
    Bei dem Mann, der nun ausstieg, handelte es sich um niemand anderen als um den Zaren. Pjotr Alexejewitsch blickte ein paar Herzschläge lang mit einem undurchdringlichen Gesichtsausdruck auf die brennenden Häuser und winkte dann Sergej zu sich. »Bist du nicht der Rijasanski-Hauptmann Tarlow, der im letzten Herbst mit mir auf der Sankt Nikofem war? Komm her!«
    Sergej trat auf die Kutsche zu und salutierte. Der Zar deutete auf das Dorf. »Das hier wird den Schweden nichts mehr bringen, aber du musst auch noch ein paar Tierkadaver in die Brunnen werfen und die Getreidefelder anzünden. Sollten sie nicht brennen, dann lass deine Leute über sie hinwegreiten, bis kein Körnchen mehr für die Schweden übrig bleibt.«
    Obwohl Sergej die Vergiftung der Brunnen angesichts der vielen Wasserläufe in der Gegend für sinnlos hielt, nickte er und erteilte Wanja und den beiden Leutnants ein paar Befehle. Die drei rannten los, und kurz darauf schwangen sich die Kalmücken in die Sättel und preschten über die Felder. Sergej nahm sein Pferd am Zügel, das ihm wie ein Hund gefolgt war, und wollte aufsteigen, doch ein scharfer Ruf des Zaren hielt ihn zurück.
    »Ich hörte, du sollst dich im Norden gut geschlagen haben! Zu gegebener Zeit werde ich mich daran erinnern, aber jetzt habe ich andere Sorgen. Kannst du mir sagen, ob General Gjorowzew wie befohlen rechtzeitig in Sankt Petersburg eingetroffen ist?«
    Sergej zwinkerte verwirrt, denn er hatte angenommen, Apraxin hätte den Zaren bereits unterrichtet und Gjorowzews Ausbleiben gerügt. Ihm war es ja ebenfalls seltsam vorgekommen, dass ein General, der in Sibirien so rasch und hart zugeschlagen hatte, sich angesichts der schwedischen Bedrohung so viel Zeit ließ. »Als ich mit meinen Männern Sankt Petersburg verließ, war noch keine Nachricht von General Gjorowzew eingetroffen, Euer Majestät.«
    »Er wird mir einiges zu erklären haben, dieser verdammte Hund!«
    Sergej fror es, als er die Miene sah, die der Zar bei diesen Worten zog, und war froh, nicht in der Haut des Generals zu stecken. Ihn selbst hatte Pjotr Alexejewitsch scheinbar bereits vergessen, denn er schwang sich mit einem verbissenen Gesichtsausdruck in den Wagenkasten und klopfte heftig gegen das Dach. Sofort trieb der Kutscher die Pferde an.
    In der Zwischenzeit hatte ein zweites Gefährt zu der Kutsche des Zaren aufgeschlossen und angehalten. Jekaterina, die Mätresse Pjotr Alexejewitschs, musterte die Umgebung, um herauszufinden, weshalb ihr Geliebter angehalten hatte. Ihr Gesicht wirkte bleich und angestrengt, und auf ihrer Stirn zeigten sich einige scharfe Falten, die darauf hindeuteten, dass sie unter Kopfschmerzen litt. Trotzdem entgingen ihr weder die Kalmücken, die johlend das Getreide niederritten, noch Sergej, der soeben mit dem Zaren gesprochen hatte und nun ein besorgtes Gesicht machte, und auch nicht der junge Fähnrich, der mit schmollender Miene auf seinem Hengst saß, als ginge ihn das, was sich um ihn herum abspielte, längst nichts mehr an.
    Jekaterina ließ sich auf ihr Sitzkissen zurückfallen und lächelte etwas mühsam. »Meine gute Marfa, dort draußen ist der kleine Tatar, der dir in Sankt Petersburg aufgefallen ist und von dem du immer wieder redest.«
    »Wo?« Marfa Alexejewna schoss hoch und wollte schon aussteigen, aber in dem Augenblick fuhr der Wagen des Zaren an, und der Mann auf dem Bock ihrer eigenen Kutsche hob ebenfalls die Peitsche,um seine Gäule anzutreiben. Marfa spürte, wie sich die Kutsche in Bewegung setzte, und blickte Jekaterina flehend an. »Können wir nicht einen Augenblick verweilen? Ich würde so gerne mit dem Jungen reden. Er muss mein Neffe sein! So wie er sah mein Bruder Igor aus, bevor diese schrecklichen Strelitzen ihn mit ihren Lanzen aufgespießt

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