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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Hilfe zu holen, doch bevor die Situation eskalieren konnte, begriff der deutsche Major, dass hungrige Steppenwölfe gewiss gefährlicher waren als satte, und erteilte den Befehl, Essen an Sergejs Leute auszugeben.
    Raskin grinste den Leutnant an, der nun widerwillig beiseite trat. »Manchmal hat sogar ein deutscher Major ein wenig Gehirn im Kopf, während du das deine wohl in die Latrine geschissen hast!«
    »Dafür wirst du mir Genugtuung leisten!« Der Infanterieleutnant griff zum Säbel und wollte blank ziehen, aber in dem Moment rief ihn ein scharfer Befehl des Majors zurück.
    »Lass die Waffe stecken, du Narr! Ich müsste dich sonst in Eisen schließen lassen. Du weißt doch, dass der Zar alle Duelle verbotenhat.« Der Leutnant erbleichte, drehte sich um und stiefelte mit offensichtlicher Wut im Bauch davon.
    Sergej trat neugierig näher. »Es sind ja doch russische Offiziere in Eurem Regiment! Warum habt Ihr Euch Fürst Apraxins Befehle nicht von einem dieser Männer vorlesen lassen?«
    Der Major blickte Sergej an, als habe dieser etwas Unanständiges von ihm verlangt. »Ein schriftlicher Befehl darf stets nur von einem gleichrangigen oder höher gestellten Offizier gelesen werden.«
    Raskin, der in der Nähe stand, verdrehte die Augen und wiederholte murmelnd seine Bemerkung über die Deutschen.

XIV.
    Im Gegensatz zu dem, was der deutsche Major des Regiments von Fichtenheim zu Sergej gesagt hatte, gab es durchaus Aufgaben für seine Steppenreiter. Ein Offizier drückte Sergej eine Karte und eine Liste mit etlichen Dörfern in die Hand und wies ihn an, dafür zu sorgen, dass die Bauern sich in den Wäldern versteckten und alles vernichteten, was den Schweden bei ihrem Vormarsch behilflich sein konnte. Sergej nahm den Befehl widerstrebend entgegen, denn ihm stand nicht der Sinn danach, russische Bauern zu schikanieren, sondern mit den Schweden zu kämpfen. Die Anweisung kam jedoch direkt vom Zaren und ließ keine Möglichkeit zur Interpretation offen.
    Das Land war so flach, dass man dort, wo keine Wälder den Blick begrenzten, den Eindruck hatte, auf einer riesigen Kuppel zu reiten. Die Straßen waren nicht mehr als schlammige Karrenspuren, die man nicht wie im Norden mit Reisig befestigt hatte, und die Brücken bestanden meist nur aus zwei Balken mit ein paar darauf genagelten Brettern. Da Sergejs Befehl lautete, alles zu tun, was den Vormarsch der Schweden behindern konnte, brachen sie die primitiven Übergänge unterwegs ab und verbrannten das Holz.
    Als die Truppe das erste Dorf erreichte, das von seinen Bewohnern Samsonowo genannt wurde, kamen die Bauern, die in einfachen Kitteln und eben so grob gewebten, weiten Hosen steckten, aus ihren Häusern und starrten den Steppenreitern misstrauisch entgegen. Zu ihnen gesellte sich ein Pope in einer schwarzen Kutte mit einem großen hölzernen Kreuz auf der Brust und einem wallenden Bart, für den auch er seine zwei Rubel im Jahr Steuern gezahlt hatte, obwohl Geistliche eigentlich davon ausgenommen sein sollten. Doch der Zar brauchte dringend Geld, und so prangte unter demHolzkreuz auch die Messingmarke mit dem Bartzeichen, das den Priester als guten Steuerzahler auswies.
    Als Sergej auf das sich ängstlich zusammendrängende Bauernvolk zuritt, trat der Pope vor und umklammerte das Kreuz, als müsse er sich daran festhalten. »Was wünschen die ehrwürdigen Herren?«
    »Im Namen Seiner Majestät, des allmächtigen Zaren Pjotr Alexejewitsch, habt ihr euer Dorf zu verlassen und euch in die Wälder zurückzuziehen. Was ihr an Vorräten, Gerätschaften und Viehfutter nicht mitnehmen könnt, muss verbrannt werden!« Die Worte glitten wie ätzende Säure über Sergejs Lippen, und er wünschte sich statt des sichtlich erschrockenen Popen einen Schweden vor sich, den er für diese Grausamkeit hätte niederschlagen können. Schirin traf diese Anweisung völlig unvorbereitet, denn sie hatte den Befehl, mit der die Truppe losgeschickt worden war, bislang nicht gekannt.
    »Aber Hauptmann, du kannst diese armen Leute doch nicht aus ihrem Dorf verjagen!«, protestierte sie halblaut.
    Sergej bleckte die Zähne. »Das ist der Befehl des Zaren!«
    Schirin stellte sich in den Steigbügeln auf und funkelte ihn zornig an. »Das ist der Befehl eines Feiglings, der es nicht wagt, sich seinem Feind in den Weg zu stellen!«
    »Und wenn es uns tausendmal nicht gefällt, ist es der Wille des Zaren, und wir müssen gehorchen!« Sergej wandte ihr mit einer heftigen Bewegung den Rücken zu

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